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Ludwig Laher

Das Zigeuneranhaltelager Weyer-St. Pantaleon
Zufälliges Zentrum der NS-Aussonderungspolitik im Gau Oberdonau

(aus: Florian Freund: Oberösterreich und die 'Zigeuner', Linz 2010)

Anfang 1939 werden durch die Landeshauptmannschaft Oberdonau die ersten Weichen zur Behebung der Zigeunerplage im Gau Oberdonau gestellt. Wie in Erfahrung gebracht wurde, werden von den einzelnen Gemeindeämtern den umherziehenden Zigeunerbanden Aufenthaltsbewilligungen erteilt. Dies sei unstatthaft, noch laufende Bewilligungen seien sofort zu widerrufen. Auf diese Weise wird das traditionelle Reisen der Sinti, bei dem sie durch diverse Dienstleistungen ihr Geld verdienen, endgültig illegal.
Als Beilage zu einem geheimen Rundschreiben (Betrifft: Zigeunererfassung) an die Gendarmerie-Kreisführer des Gaues Oberdonau verteilt die Kriminalpolizei Linz am 19. Oktober 1939 den Erlaß des Reichssicherheitshauptamtes RKPA 149/1939 vom 17. des Monats und gibt dazu folgende Anweisungen: Eine mündliche Information der Betroffenen durch die Gendarmerieposten über das nunmehrige Verbot, den momentanen Aufenthaltsort zu verlassen, sei ausreichend. Sollte es Unterbringungsschwierigkeiten geben, möge man mit den Gemeindeverwaltungen in Verbindung treten. Bei Nichtbefolgung ist mit Haft vorzugehen. Am 25., 26. und 27. Oktober sollen die Zigeuner erfaßt und gezählt werden. Ihre Festsetzung bleibt auch danach bis auf unbestimmte Zeit aufrecht.
Diese Maßnahme bringt alle nicht gerade zuhause weilenden Sinti (Roma gibt es zu dieser Zeit in Oberdonau vernachlässigenswert wenige) in eine äußerst prekäre Situation: Einerseits können die Reisenden nicht in ihre Heimatgemeinden zurückgelangen, wo viele auch fixe Behausungen haben, die sie im Winter bewohnen. Andererseits ist ihnen jede Erwerbsmöglichkeit genommen. Drittens sind sie in den Orten ihrer Festsetzung Fremde, seit Jänner ohnehin meist illegal aufhältig und weit weniger integriert als dort, wo sie seit fünfzig, hundert, hundertfünfzig Jahren Zuständigkeit erworben haben, das sogenannte Heimatrecht. Viertens fallen diese Menschen für sie eigentlich unzuständigen Gemeinden zur Last, was weiteres böses Blut schafft. Die betroffenen Kommunen versuchen anfangs freilich nach Möglichkeit, ihre Kosten auf die jeweiligen Heimatgemeinden überzuwälzen.
Entgegen der bisherigen Praxis, klar zwischen heimatberechtigten und nicht heimatberechtigten Mitgliedern einer Sinti-Großfamilie zu unterscheiden, wobei der aktuelle Wohnsitz keine Rolle spielte, ergreifen die zuständigen Gemeinden nach Schließung der Heimatrollen zum 30. Juni 1939 jedoch nun vermehrt die günstige Gelegenheit, sich auch von ihren tatsächlichen Bürgern „zigeunerischer Herkunft“ zu distanzieren.
So richtet der Bürgermeister von Buchkirchen am 7. Dezember 1939 ein Schreiben an den Bezirksfürsorgeverband Wels, in welchem er die Übernahme von in Bad Ischl angefallenen Krankenhauskosten für Anna Blach, geb. 5.1.1869, ablehnt. Die Angaben anläßlich der Einweisung seien nicht ganz richtig. Anna Blach sei zwar nach dem früheren Heimatrecht nach Buchkirchen zuständig, jedoch war sie immer auswärts auf Reisen und nie in der der (sic!) Heimatgemeinde. Nur wenige Zeilen weiter dementiert der Ortschef allerdings diese seine eigenen Angaben, wenn er schreibt: Blach Anna kommt zwar jedes Jahr einige Tage öfters auch einige Wochen nach Buchkirchen hat sich durchgebettelt und zog dann wieder fort.
Noch am 12. November 1938 stellt derselbe Bürgermeister jedoch wie andere Kollegen dem Gaupropagandaleiter in Linz eine Liste der als zuständig anerkannten Zigeuner zur weiteren Veranlassung zur Verfügung, die selbstverständlich den Namen Anna Blach, geb. 5.1.1869, enthält: Dies sind als zuständig anerkannten (sic!) Zigeuner, welche zum Großteil sich im Winter in Buchkirchen aufhalten. Gerade dieses fixe Quartier (im konkreten Fall das alte Bäckerhaus) für das knappe Winterhalbjahr ist freilich für die Lebenspraxis der reisenden oberösterreichischen Sinti typisch und charakterisiert ihren Lebensmittelpunkt, wo die Kinder zur Schule gehen, wo sie die Kirche besuchen etc.
Der von Reinhard Heydrich unterzeichnete Festsetzungserlaß des Reichssicherheitshauptamtes vom Oktober 1939, der die Zuständigkeiten für die davon Erfaßten neu regelt, macht das Heimatrecht für Sinti und Roma also auch im übertragenen Sinne endgültig obsolet. Nach dem gegenwärtigen Stand der Forschung ist nicht davon auszugehen, daß es von Anfang an eine ausgeklügelte Taktik der Behörden in Berlin bzw. in der Folge Oberdonaus war, die Sinti und Roma zunächst willkürlich festzusetzen, die vielen Reisenden somit ihren Heimatgemeinden zu entfremden, jene Gemeinden, wo sie im Oktober 1939 zufällig aufhältig gewesen waren, durch ihre schiere Existenz gegen sie einzunehmen, ihnen Schritt für Schritt sämtliche Rechte abzuerkennen, Hab und Gut wegzunehmen, sie schließlich in einem großen Anhaltelager zu internieren, dort als Arbeitskräfte auszubeuten, endlich ins besetzte Polen zu deportieren und in einem letzten Schritt zu ermorden, das übrigens in der östlichen Ostmark viel früher als in zahlreichen anderen Gegenden des Dritten Reiches. Zahlreiche Dokumente sprechen dafür, daß, was mit dem Festsetzungserlaß generalstabsmäßig angegangen, bald weit weniger professionell umgesetzt wurde. Vieles blieb dem Zufall überlassen, war, wie zu zeigen sein wird, gar reaktiven Maßnahmen geschuldet.
Zunächst aber läuft alles nach Plan. Anhand der Großfamilie Blach sei hier die weitere Entwicklung exemplarisch nachgezeichnet. Anna Blach wurde, wie erwähnt, in Bad Ischl festgesetzt, und zwar, als sie dort bei Verwandten zu Besuch weilte. Auch in Bad Ischl lebte nämlich seit langem ein Zweig der Familie. Aufgemuntert durch die jüngsten Aussonderungsmaßnahmen, wendet sich am 15. November 1939 der Ischler Gemeindearzt Dr. Albert Meierl an den dortigen Bürgermeister: Ich muß leider feststellen, daß die Zigeunerplage in Bad Ischl immer mehr zunimmt. Es vergeht fast kein Tag, wo nicht Zigeuner meine Ordination aufsuchen und fortwährend gibt es Auseinandersetzungen, denn das Benehmen dieser Leute ist unbotmäßig und frech. Schließlich ist es auch für die deutschen Volksgenossen keine Annehmlichkeit, mit diesen ungewaschenen Zigeunern den Warteraum zu teilen. Dr. Meierl würde, wie er festhält, recht gern auf die zweifelhafte Ehre, „Leibarzt der Ischler Zigeunerdynastie“ zu sein, verzichten und ersucht den Bürgermeister darum, für Abhilfe zu sorgen.
Schreiben wie dieses verdienen deshalb Beachtung, weil sie, abgesehen einmal vom zynischen Grundton, eine Lösung des Zigeunerproblems anmahnen, die nur darin bestehen kann, ihnen ärztliche Behandlung amtlich zu verweigern oder sie gleich ganz zu entfernen, im wahrsten Wortsinn unschädlich zu machen. Die Behörden in Bad Ischl gehen nun, da die Sinti bereits entrechtet und mittelbar dem gesunden Volksempfinden unterworfen sind, in einem nächsten Schritt daran, Daten zu sammeln und die Formalvoraussetzungen zu schaffen, dem Begehren des Gemeindearztes, das sich mit dem der verantwortlichen Stellen in Linz deckt, indirekt zu entsprechen.
Aloisia Blach aus Bad Ischl gehört der nächsten Generation an. Sie ist Enkelin der in Buchkirchen 1890 geborenen, dort heimatberechtigten Elisabeth Blach und Mutter zweier Kinder, deren eines, Maria, geb. 1909, selbst drei Kinder hat, die von der Großmutter aufgezogen werden. Zweimal, am 25. Juni und am 23. Juli 1940, wird Aloisia Blach vom Amtsgericht Bad Ischl vorgeladen, weil die Vormundschaft über eines dieser Enkelkinder, Amalia, geboren auf der Reise am 3. Juni 1932 im Bezirk Rottenmann, wiewohl es dort nie wohnhaft war, immer noch vom Amtsgericht Rottenmann ausgeübt wird. Mit dem Gericht, beteuert Aloisia Blach, hätte sie wegen der Kinder noch nie zu tun gehabt. Nun übernimmt das Amtsgericht Bad Ischl für einige wenige Monate die Vormundschaft, um auch über dieses Familienmitglied verfügen zu können.
Am 20. Dezember 1940 sieht sich die Kriminalpolizei Linz zu einem neuerlichen Rundschreiben veranlaßt, das über die Landräte an die einzelnen Gemeinden ergeht. Einen Teil des Textes bilden Auszüge aus dem für das ehemalige Österreich verfaßten Erlaß des Leiters des Reichssicherheitshauptamtes Reinhard Heydrich vom 31. Oktober 1940. Darin heißt es unter anderem: Die vorgesehene Regelung der Zigeunerfrage in der Ostmark muß aus bestimmten Gründen bis nach dem Kriege verschoben werden. Dessen ungeachtet bedürfen die augenblicklichen Zustände des Zigeunerunwesens in der Ostmark dringend einer Abhilfe (…). Das Rundschreiben vom 20. Dezember ist ein höchst aufschlußreiches Dokument, weil es auf Basis des Heydrich-Erlasses ausführlich den damaligen Planungsstand zusammenfaßt, der in Oberdonau über die darin gegebenen Anordnungen offenbar schon hinausgeht und durch unerwartete aktuelle Ereignisse nur wenige Tage später einer unvorhersehbaren Dynamik unterworfen werden wird.
Bemerkenswert ist zunächst eine der äußerst seltenen amtlichen Angaben über die Anzahl der betroffenen Personen. Offensichtlich hat Berlin beschlossen, für den Zweck der Bekämpfung der Zigeunerplage das ehemalige Territorium Österreichs in zwei Hälften zu teilen. Die westliche besteht aus den Zuständigkeitsbereichen der Kriminalpolizeistellen Linz, Innsbruck, Salzburg und Klagenfurt. Im Reichsministerium des Inneren geht man für dieses große Gebiet von bloß 700 betroffenen Personen aus, einer im Verhältnis zu den Roma und Sinti im östlichen Teil der Ostmark äußerst geringen Zahl, die wohl auch entschieden zu niedrig angesetzt ist, stellt man die späteren Belagszahlen von Salzburg-Maxglan und Weyer-St. Pantaleon, die direkt aus dem Gau Tirol-Vorarlberg Deportierten, die aus Kärnten nach Lackenbach Überstellten, die in andere Lager Verbrachten sowie die Untergetauchten in Rechnung. Es kann davon ausgegangen werden, daß jedenfalls weit mehr als tausend Sinti und Roma von den geplanten Maßnahmen betroffen gewesen wären: In geeigneten Unterkünften sollen die Zigeuner auf Gemeindeebene zusammengezogen werden, heißt es weiter, die arbeitsfähigen Männer und Frauen seien, sofern sie nicht ohnehin eine feste Stelle hätten, dem nächsten Arbeitseinsatz zuzuleiten. Aufgezählt werden konkret gemeindliche Arbeiten, aber es ist ausdrücklich auch von anderen Arbeitsstellen die Rede. Zehn Prozent des Lohnes soll ihnen, wo immer sie auch beschäftigt sind, als Taschengeld ausbezahlt werden, der Rest an jene Kommunen gehen, die die Lager zu finanzieren haben.
Noch Ende 1940 soll also, wenn es nach Berlin geht, auch in Oberdonau vergleichsweise zurückhaltend vorgegangen werden, wie das in anderen Teilen des Deutschen Reiches tatsächlich Praxis wird und für die nächsten Jahre verbindlich bleibt. Allerdings findet sich im Schreiben vom 20. Dezember bereits ein erster noch inkonkreter Hinweis auf ein alternatives, in Oberdonau selbst ersonnenes Vorgehen, das Dr. Schäringer von der Kripo Linz wörtlich als meine Absicht bezeichnet: Für die örtliche Konzentrierung der Zigeuner empfehle ich vorläufig nur möglichst geringe Kostenaufwendungen zu machen, da sich vielleicht in nächster Zeit eine Sammelunterbringung sämtlicher im Gaugebiet Oberdonau vorhandenen Zigeuner ermöglichen lassen wird.
Die folgenden behördlichen Anordnungen zur Form der örtlichen Konzentrierung  lassen ermessen, warum dort, wo im Verantwortungsbereich der westlichen Ostmark das dezentrale Konzept umgesetzt wurde, nämlich im Gau Tirol-Vorarlberg, das kleine Gemeindelager Hopfgarten in der Forschung gelegentlich als Tiroler Pendant den großen Sammel- und Anhaltelagern Maxglan und Weyer an die Seite gestellt wurde, obwohl ähnliche Gemeindelager auch für Hochfilzen, Kirchberg und andere Orte belegt sind: Das Zigeunerlager wird durch einen Zaun oder in sonstiger Weise abzusperren sowie unter Aufsicht zu stellen sein. (…) Die Zigeuner dürfen die Siedlung nur mit einer schriftlichen und befristeten Genehmigung der Ortspolizeibehörde verlassen. Tatsächlich unterschieden sich die Bedingungen im nachmaligen Reichsgaulager Weyer-St. Pantaleon oder im Lager Salzburg-Maxglan nur graduell von diesen Anordnungen.
Eine weitere Passage des Dokumentes regelt den Umgang mit den seßhaften, in fixen Arbeitsverhältnissen stehenden Sinti, wenn auch nur als Kann-Bestimmung: Zigeuner, die seit geraumer Zeit in fester Arbeit stehen und zumindest als ungelernte Arbeiter zu betrachten sind, können aus Zweckmäßigkeitsgründen an ihrem derzeitigen Arbeitsplatz belassen werden. Weitere Ausnahmeverfügungen, etwa daß der betroffene Personenkreis in seinen  Wohnungen verbleiben oder den gesamten Lohn behalten darf, sind ausdrücklich nicht vorgesehen. Diese Festlegungen sind im Hinblick auf die Haltung oberösterreichischer Behörden besonders wichtig, die, wie gezeigt werden wird, nach dem Ende des Dritten Reiches die Tatsachen auf den Kopf stellen werden, um eine Mitschuld der Betroffenen an ihrem Unglück zu konstruieren, dem sie in Wirklichkeit beim besten Willen nicht entrinnen konnten.
In Briefen an ihren zur Wehrmacht eingezogenen Mann, den einst viel gelesenen österreichischen Schriftsteller Georg Rendl, der in der Nähe des Lagers Weyer-St. Pantaleon wohnt, macht Bertha Rendl wiederholt Angaben zum Lager und seinem Umfeld, denn beide sind mit dem Lagerarzt Alois Staufer, zugleich Gemeindearzt von St. Pantaleon, eng befreundet. Frau Rendl führt unter anderem aus: Gestern hielt beim Auwirt ein Wagen an mit gewölbtem Dach, Glastüre und Glasfenstern u. zwei schönen Pferden vorgespannt. Vom Kutschbock stiegen ein älterer Mann u. ein junger, großer, hübscher Bursch. Der eine war ein Eingeborener, der andere ein Zigeuner aus dem Lager, vielleicht 20-jährig. Seine Eltern wohnen in Steyr seit 20 Jahren, haben 10 Kinder, von denen 3 ältere Töchter mit 3 Frontsoldaten verheiratet sind. Von den Söhnen ist er der älteste. Eltern und anderen (sic!) Kindern sind daheim, nur der eine muß als Zigeunerabkömmling im Lager sein. Er kann natürlich die Zigeunersprache nicht, da er ja in Steyr in die Schule gegangen und nicht gewußt hat, daß in seinen Adern Zigeunerblut fließt. Jetzt sieht er erst Zigeunersitten u. Bräuche. Er arbeitete in Steyr in einer Munitionsfabrik u. dann in einem Steinbruch. – Der Wagen mit den schönen Pferden gehörte auch einem Zigeuner aus dem Lager. Geradezu exemplarisch verdeutlicht dieser Brief, wie willkürlich sich zu dieser Zeit der behördliche Umgang mit den oberösterreichischen Sinti gestaltete. Völlige Assimilierung, ein fester Arbeitsplatz, eine fixe Wohnadresse schützten keineswegs vor der Einweisung in das Gauzigeuneranhaltelager, aber noch waren durchaus nicht alle Sinti (und die wenigen Roma) interniert. Selbst quer durch die Familien wirkte sich das scheinbar oder tatsächlich konzeptlose Vorgehen der Autoritäten einmal so, einmal so aus.
Wie aber kommt es überhaupt zur Einrichtung des Lagers Weyer-St. Pantaleon, das am 19. Jänner 1941 eröffnet wird? Im Zuge der Recherchen des Verfassers für seinen dokumentarischen Roman „Herzfleischentartung“ wurden die bemerkenswerten Hintergründe akribisch ausgelotet: Schon im Juni 1940 wurde in St. Pantaleon (die ersten Wochen allerdings noch auf der Salzburger Seite des Flüßchens Moosach) auf Drängen des Gaubeauftragten für Arbeitserziehung Franz Kubinger vom Reichsgau Oberdonau ein Arbeitserziehungslager (behördlich oft auch als Arbeitsgemeinschaftslager Weyer-Haigermoos bezeichnet) für jene Volksgenossen eingerichtet, die von Bürgermeistern, Landräten, aber auch Funktionären der deutschen Arbeitsfront für arbeitsscheu oder asozial erklärt wurden, oft aber gewöhnliche Mitbürger waren, die einzig aus privaten Gründen oder wegen kritischer Bemerkungen „entsorgt“ wurden. Dieser Personenkreis mußte als Zwangsarbeiter schuften, um das Ibmer Moor zu entsumpfen und so der Natur „neues Bauernland abzutrotzen“. Lagerleitung und Aufseher wurden von der SA gestellt. Was die zynische Brutalität anlangt, konnte es, wie die Akten beweisen, Weyer durchaus mit manchen Konzentrationslagern im Machtbereich der SS aufnehmen. Nach einem halben Jahr waren bei einem teils fluktuierenden Belag von jeweils nur wenigen Dutzend zumindest fünf Häftlinge durch Folterungen und schwerste Mißhandlungen umgekommen, zahlreiche andere lebensgefährlich verletzt worden. Der Lagerarzt hatte wissentlich falsche Totenscheine ausgestellt, bis er am 27. Dezember 1940 völlig überraschend doch den Verdacht des Todes eines Häftlings durch Gewaltanwendung anzeigte. Diese Angaben wurden durch die beigezogene Gerichtskommission nach der Obduktion des entsetzlich Gefolterten bestätigt, die Staatsanwaltschaft Ried im Innkreis nahm unverzüglich Ermittlungen auf.
Damit hatten weder die SA noch die Gau-NSDAP gerechnet. Überhastet wird das Arbeitserziehungslager am 9. Jänner 1941 geschlossen, die Häftlinge läßt man zum Teil in das Konzentrationslager Mauthausen überstellen, die Akten verschwinden. Wie aber soll es jetzt mit dem Regulierungsvorhaben weitergehen, bei dem neben den Zwangsarbeitern auch reguläre Arbeitskräfte beschäftigt sind? Der Bürgermeister und Ortsgruppenleiter von St. Pantaleon hatte die Liegenschaften, auf denen das Lager errichtet wurde, einer in finanzielle Bedrängnis geratenen Bauern- und Gastwirtsfamilie billig abgepachtet und umgehend um die Hälfte teurer an die NSDAP weiterverpachtet. Auch als Obmann der Wassergenossenschaft, die mit der Abwicklung des Entsumpfungsprojekts Ibm-Waidmoos betraut ist, hat Bürgermeister Michael Kaltenegger großes Interesse an der Fortführung. Das Prestigeprojekt ist überdies propagandistisch benutzt und in der Presse als segensreiche Investition in der strukturschwachen Region bejubelt worden. Es sang- und klanglos abzubrechen, kommt nicht in Frage.
Mehr oder weniger spontan entscheidet die Gauleitung daher, in Weyer jene bereits einen Monat zuvor angedeutete, aber noch völlig inkonkrete Option eines als Reichsgaulager geführten zentralen Zigeuneranhaltelagers am Ort des ehemaligen Arbeitserziehungslagers zu realisieren. Bereits zehn Tage nach Schließung des letzteren nimmt es seinen Betrieb auf. Die Lagerleitung wird der blamierten SA entzogen, nur der Verwaltungschef, SA-Sturmführer Gottfried Hamberger, darf bleiben. Die Lagerführung übernimmt die Kriminalpolizeistelle Linz. Die arbeitsfähigen Zigeuner wurden bei der Fruchtbarmachung des in der Nähe des Lagers befindlichen Ibmermoores zur Arbeitsleistung herangezogen. Die Arbeitstruppe wurden (sic!) von Organen der Reservegendarmerie zum Arbeitsplatz gebracht, dort bewacht und dann wieder in das Lager zurück exkortiert (sic!).
Erst lange nach dem Erscheinen von „Herzfleischentartung“ ist dem Verfasser 2005 durch einen Mittelsmann das bis dahin verschollene Originalkonvolut der Häftlingslisten beider Lager von Weyer samt handschriftlichen Vermerken anonym zugegangen, und zwar jeweils die letzteren von zwei für die Staatliche Kriminalpolizei und das Bürgermeisteramt St. Pantaleon erstellten Exemplaren. Die ursprünglich relativ dürftige Dokumentenlage hat sich durch diesen neuen Bestand (Kopie u.a. im Oberösterreichischen Landesarchiv) wesentlich verbessert, handelt es sich dabei doch um tagesaktuelle Zugangslisten (auch Geburten wurden als Zugang vermerkt), ergänzt um einige wenige Entlassungen, Todesfälle und Überstellungen.
Zweifelsfrei konnte dadurch zum Beispiel geklärt werden, was mit einem Gutteil der Kärntner Sinti passiert ist. Die Anordnungen des Reichsministeriums des Inneren aus dem Oktober 1940 für den Westen der Ostmark waren binnen einem Monat mehr oder weniger Makulatur geworden. Salzburg ging mit dem Lager Maxglan ohnehin längst schon einen ähnlichen Weg wie Oberdonau, für den Gau Tirol-Vorarlberg sind dagegen, wie bereits erwähnt, tatsächlich mehrere kleine örtliche Internierungslager belegt. Kärnten aber überstellt am 11. April 1941 insgesamt 52 Personen nach Weyer-St. Pantaleon, vornehmlich Mitglieder der bekannten Sintifamilien Held, Link, Reinhart, Seger und Taubmann. Auch in den Folgemonaten werden weitere Einzelpersonen sowie Familien direkt aus Kärnten eingewiesen.
Schon früher, nämlich am 15. März 1941, wird von der Kripo Linz eine erste Zwischenbilanz gezogen. 151 Internierte halten sich zu diesem Zeitpunkt in Weyer auf: Männer 52, Frauen 31, Kinder unter 14 Jahren 68.
Insgesamt weisen die Dokumente 345 Personen als Lagerinsassen aus, von denen 14 wieder entlassen wurden, drei verstorben sind, eine ins Lager Salzburg-Maxglan überstellt wurde und zwei geflohen sind (eine davon wurde wieder nach Weyer zurückgebracht). 142 davon waren Kinder bis zu zehn Jahren, weitere 87 Jugendliche im Alter bis zu 20 Jahren. Die älteste Person wurde 1860 geboren, die jüngste wenige Tage vor der Deportation nach Łodz am 18. Oktober 1941.
Von den nüchternen Zahlen zu den konkreten Schicksalen als Folge der Aussonderungspolitik der Behörden: Von der Großfamilie Blach werden im Laufe der Zeit insgesamt 22 Mitglieder in Weyer interniert, darunter am 27. Jänner 1941 Aloisia Blach aus Bad Ischl mit ihren drei Enkeln. Auch Tochter Maria, die Mutter Amalias, findet sich aufgelistet in diesem Transport, der 30 Menschen umfaßt. Aus Zweckmäßigkeitsgründen überträgt das nun zuständige Amtsgericht Bad Ischl dem für Weyer zuständigen Amtsgericht Wildshut in St. Pantaleon die Vormundschaft für Amalia Blach. Das Mündel wird dem Kreisjugendamte Braunau am Inn als Amtsvormunde unterstellt (Dienststelle Wildshut, Amtsvormund Franz König in Ostermiething).
Dieser Beschluß, datiert mit 4. Mai 1941, ist der letzte Amtsvorgang im Mündelakt der zu diesem Zeitpunkt neunjährigen Amalia Blach, sieht man von dem bestürzenden handschriftlichen Vermerk großjährig auf dem Dokument ab, der wohl 1953 vom Bezirksrichter hinzugefügt wurde und sich, wie zu zeigen sein wird, nahtlos in eine Reihe von ignoranten bis vernebelnden Äußerungen der Behörden der Zweiten Republik zur Causa Zigeuneranhaltelager Weyer-St. Pantaleon einfügt. Daß der nominelle Amtsvormund irgendetwas im Interesse seiner Schutzbefohlenen unternommen hätte, kann mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden.
Das oberösterreichische Landeswappen auf der Titelseite, wird der Haushaltsplan des Reichsgaues Oberdonau für das Rechnungsjahr 1941, herausgegeben und verlegt vom Reichsstatthalter in Oberdonau, Gauselbstverwaltung von der Staatsdruckerei Wiengedruckt. In diesem 1942 als Rechnungsabschluß publizierten Band findet sich zum Einzelplan 4 ein Unterhaushaltsplan Nr. 19 für das Zigeuneranhaltelager Weyer-St. Pantaleon des Reichsgaues Oberdonau, in welchem eine genaue Ausgaben- und Einnahmenrechnung zu finden ist. Diese ist in mehrfacher Hinsicht aufschlußreich:
Erstens wird in der Zeile Lebensmittel der Belag mit 250 Internierten angegeben, was wohl ein Durchschnittswert sein dürfte. Berücksichtigt man die Schließung des Lagers Anfang November und die Tatsache, daß der Höchstbelag erst im Laufe der Zeit erreicht wurde, wird man von einem höchst bescheidenen Pro-Kopf-Aufwand für Lebensmittel von etwa einer halben Reichsmark pro Tag ausgehen müssen. Diese Schätzung läßt freilich außer acht, daß der betreffende Budgetansatz auch den Lebensmittelaufwand für das Personal, also die Aufseher, die Köchin, die Wäscherin etc. inkludieren dürfte, wodurch jener für die Inhaftierten wahrscheinlich noch geringer zu veranschlagen ist.
Das Dokument bestätigt zweitens, daß die Angaben der Partei Geratsdorfer in einem beim Landbewirtschaftungsgericht Wildshut angestrengten, für das Schicksal der Weyer-Sinti mitentscheidenden und in der Folge deshalb ausführlich referierten Verfahren richtig waren, denn die Monatspacht für das Lagergelände wird tatsächlich mit 150 Reichsmark ausgewiesen. Ferner geht hervor, daß die nunmehrigen Zwangsarbeiter – im Unterschied zu jenen im vorherigen Arbeitserziehungslager – nicht länger individuell beschäftigt wurden. Für ihre Tätigkeit bei der Regulierung des Ibmer Moores war vielmehr ein Pauschalbetrag von 1600 Reichsmark monatlich vereinbart worden, der unter Einnahmen verbucht wurde. Für das Verleihen vorwiegend weiblicher Hilfskräfte beim Ernteeinsatz gibt es den Ansatz Ertrag der Feld- und Gartenwirtschaft.
Daß der Reichsgau Oberdonau das nunmehrige Zigeuneranhaltelager rechnungstechnisch in direkter Kontinuität zum Arbeitsgemeinschaftslager Weyer-Haigermoos, also dem aufgelösten Arbeitserziehungslager sieht, dessen SA-Kommandant und – zum Teil – auch die Aufseherriege bei Drucklegung des Abschlusses in Untersuchungshaft einsitzen, ist ebenfalls bemerkenswert, werden doch 700 Reichsmark als Rest aus 1940 verbucht. Unter dem Strich aber ergibt sich ein horrender Zuschußbedarf für das Lager von 82320 Reichsmark. Diese Kostenentwicklung mag mit ein Grund für die weitere Entwicklung gewesen sein, der allein entscheidende aber war er nach Lage der Dinge sicherlich nicht.
Laut Taufbuch bis ins Jahr 1765 läßt sich die Geschichte der Sintigroßfamilie Kerndlbacher aus Hochburg-Ach im Innviertel am Ort zurückverfolgen. Peter Lechner, Nachbar und Zeitzeuge, beschreibt 2006 im ORF-Dokumentarfilm des Verfassers „Sinti ob der Enns“, wie die Mitglieder der in einem noch heute bestehenden Haus im Ortsteil Tiefer Graben wohnhaften Roßhändler-Familie eines Tages mit einem Lastkraftwagen in das Lager Weyer-St. Pantaleon abtransportiert wurden. Geschrien hätten sie dabei, erinnert sich Lechner, der, von Beruf Kunstschmied, für die Kerndlbachers neben ihrem ehemaligen Wohnhaus eine Erinnerungsstätte gestaltet hat.
Dieses Ereignis spielt sich am 25. April 1941 ab. Familienmitglieder, die gemäß dem Erlaß des Reichssicherheitshauptamtes außerhalb Oberdonaus festgesetzt wurden, werden dagegen, wie üblich, nicht nach Weyer überstellt. Rosa Kerndlbacher etwa, zuständig nach Hochburg-Ach, hielt sich zum Stichtag mit ihrer Schwester Juliane bei der Großmutter in Salzburg auf: In Salzburg sind wir mit anderen Sinti mit den Wohnwägen gestanden. In der Nacht eines Tages ist ein Polizeikommando gekommen mit Lastautos, die haben gesagt, wie müssen alles liegen und stehen lassen und auf die Lastautos rauf. Wir haben zwei Hunde gehabt, die Pferde und ein paar kleine Viecher, Zwerghühner habe ich gehabt, alles haben wir zurücklassen müssen.
Auf Verwandtschaftsverhältnisse, Wohnort etc. wird also von den NS-Behörden keinerlei Rücksicht genommen. Es ist nur ein einziger Fall einer Verbringung von Weyer nach Salzburg aktenkundig, ganze acht Personen werden, wie Gert Kerschbaumer festgestellt hat, in die Gegenrichtung überstellt. Rosa Kerndlbacher, spätere Winter, erinnert sich allerdings daran, daß zwei Familienmitgliedern in Maxglan einmal Passierscheine für einen Verwandtenbesuch in Weyer ausgehändigt wurden. Es war die letzte Kontaktnahme.
Es ist davon auszugehen, daß die Einweisung ins Lager Weyer-St. Pantaleon im gesamten Gau Oberdonau ähnlich verlief, wie Peter Lechner und Rosa Kerndlbacher das beschreiben: Die LKWs fuhren vor, die Sinti wurden verladen und in Weyer als Zugänge registriert.
Die Heimatmatrik der Gemeinde Weng bei Altheim weist die Eheleute Klemens und Emma Rosenfels samt ihren zehn Kindern, geboren zwischen 1924 und 1939, als heimatberechtigt aus. Klemens Rosenfels wurde 1895 in Weng geboren, seine Gattin im selben Jahr in Messina. Auch diese Familie wird zur Gänze in Weyer-St. Pantaleon interniert. Die Großfamilie Rosenfels ist mit insgesamt 30 dort Einsitzenden eine der am meisten betroffenen Oberdonaus.
Widerstandshandlungen der örtlichen Bevölkerung gegen die Abholung der Sinti sind aus dem Gau Oberdonau, etwa im Gegensatz zu Niederdonau, nicht überliefert. Allerdings können verschiedene Handlungen der Gemeindebevölkerung als Zeichen der Solidarität und des Respektes interpretiert werden, und das selbst zu einer Zeit, als die Verfolgungsmaßnahmen längst angelaufen waren. So erinnert sich der Zeitzeuge Erwin Aigner aus Buchkirchen bei Wels daran, wie seine gesamte Schulklasse neben anderen am Begräbnis der zweijährigen Hermine Blach, einem Arbeiterkind, teilgenommen hat, die laut Gräberbuch der Gemeinde am 10. Jänner 1941 verstorben ist, also nur eine Woche vor der Inbetriebnahme des Lagers Weyer.
In mehreren Tranchen werden nun auch die Buchkirchner Blachs nach Weyer verbracht. Während der Bezirksfürsorgeverband Wels am 12. Juni 1941 noch den Bescheid erläßt, für den am 6. Mai 1941 in Buchkirchen entbundenen Ludwig Blach, Sohn der Juliane Blach, die Hebammenkosten zu refundieren, sind die beiden Genannten bereits seit zwei Tagen in Weyer interniert.
Gegen Ende April bricht, wie auch Bertha Rendl ihrem Mann am 11. Mai 1941 schreibt, im Lager Weyer eine gefährliche Epidemie aus: Dr. Staufer hat viel zu tun. Im Zigeunerlager sind 20 Fälle von ägyptischer Lungenentzündung (Trachom). Tatsächlich kommt es zwischen 27. April und 17. Mai 1941 zu drei Todesfällen, für die Lagerleiter Heinrich Neudorfer, Verwalter Gottfried Hamberger und Bürgermeister Michael Kaltenegger allerdings Todesursachen angeben, die nur mittelbar Rückschlüsse zulassen: Herzkollaps, Lebensschwäche, Herzfleischentartung. In seinen privaten Aufzeichnungen, die dem Verfasser zugänglich waren, hält der Lagerarzt denn auch etwa im Falle der fünfjährigen Maria Daniel eine kruppöse Lungenentzündung als Grund des Todes fest, nicht Herzkollaps. Die toten Sinti werden nach übereinstimmenden Aussagen von Zeitzeugen zunächst im Totengräberkammerl des Friedhofs Haigermoos zwischen Kannen und Schaufeln hinterlegt und nachts ohne erkennbares Grab eingescharrt.
Mehrere Dutzend Farbbilder des Lagerarztes vermitteln indes einen Eindruck von den Verhältnissen in Weyer. Die gemauerten Gebäude scheinen in schlechtem Zustand zu sein, es gibt daneben auch Holzbaracken. Die Insassen, Frauen und Kinder zumeist, sitzen, meist barfuß, ohne Unterlage auf dem unbefestigten, graslosen Boden, es scheint auch keinerlei Spielzeug für die vielen Kleinen zu geben. Allerdings dürfte ihnen bei anderer Gelegenheit für eine Reihe von Porträtaufnahmen noch einmal ihr bestes Gewand und ihr Schmuck ausgehändigt worden sein, die vermutlich in den außerhalb des Lagers abgestellten und abgesperrten, nach ihrer Deportation geplünderten Wagen gelagert waren. 
Inzwischen ist hinter den Kulissen ein heftiger Streit ausgebrochen. Der dem verschuldeten Bauern und Gastwirt Max Geratsdorfer abgepreßte ungünstige Pachtvertrag für die Liegenschaften, die zuerst als Arbeitserziehungs- und dann als Zigeuneranhaltelager verwendet wurden, läuft mit 1. September 1941 ab. Längst haben die Eheleute Geratsdorfer erfahren, daß sie Bürgermeister Kaltenegger übervorteilt hat. Sie möchten ihren Besitz daher zurück oder zumindest eine Lösung ohne Kaltenegger. Der reagiert darauf zunächst nicht und läßt die Frist verstreichen. Um den gefährlichen rechtsfreien Zustand zu beenden, beginnt am 5. September 1941 unmittelbar nach Auslaufen des Pachtvertrages ein Verfahren vor dem Landbewirtschaftungsgericht Wildshut. Die Nationalsozialisten begehren durch den Reichsnährstand Blut und Boden, daß der Pachtgegenstand der Landesbauernschaft Donauland auf die Dauer von zwei Jahren als Treuhänderin überantwortet werden möge, da eine Verlängerung des Pachtvertrages mit Kaltenegger verweigert wurde. Begründet wird der Antrag mit der Unfähigkeit der Bauersleute, den Hof zu bewirtschaften, und mit ihren Schulden.
Was auf den ersten Blick wie ein unscheinbarer Nebenschauplatz aussieht, ist längst eine höchst brisante Angelegenheit und zur Sache der Linzer Behördenzentrale geworden, wie das direkte Eingreifen des Gauhauptmannes Breitenthaler beweisen wird. Es geht um nicht mehr und nicht weniger als die Existenz des Reichsgaulagers Weyer-St. Pantaleon, es geht, wie sich zeigen wird, um das Leben hunderter Menschen.
Die NSDAP bastelt indessen vermutlich schon an einem Plan B für den Fall, daß das Verfahren nicht den gewünschten Ausgang nimmt. Durch ihren Anwalt fahren die Eheleute Geratsdorfer jedenfalls schwere Geschütze auf: Nach Dementis und Erläuterungen, die Schulden und die angebliche schlechte Bewirtschaftung des Hofes betreffend, wird vor allem Bürgermeister Kaltenegger frontal angegangen: Der Pächter Kaltenegger nahm aus dem ihm pachtweise überlassenen Anwesen von dem Gaufürsorgeverband RM. 150.- für die Überlassung der Gebäulichkeiten 6 und 15 zur Beherbergung der Zigeuner ein. Vom Wasserbauamt hat er während des letzten halben Jahres und darüber hinaus noch RM. 100.- bekommen. Ausserdem fiel ihm die gesamte Ernte des Jahres 1941 zu. (…) Auf der anderen Seite gab er als Pachtzins an die Ehegatten Geratsdorfer nur einen monatlichen Betrag von RM.100.- Dabei mußten noch sämtliche Zinsen, Lasten und Steuern von den Ehegatten Geratsdorfer getragen werden. Es ist sehr wohl verständlich, dass der Bürgermeister Kaltenegger (…) den Verlust dieser fetten Pfründe nicht verschmerzen kann. Er setzt nun alle Hebel in Bewegung, um auf Umwegen die Bewirtschaftung der Grundstücke doch wieder in die Hand zu bekommen. Als Außenbetreuer des Treuhänderverbands wolle er die Wirtschaft weiterführen. Überdies habe er Frau Geratsdorfer Zigeunerbagage genannt. Es wird kein deutsches Gericht einem derartigen Vorgehen helfende Hand leihen können. Die Partei Geratsdorfer bietet von sich aus einen Kompromiß an, der darin besteht, direkt mit dem Gaufürsorgeverband Linz ein Pachtverhältnis für die Zigeuner auf zwei Jahre zu errichten. Es würde in diesem Fall alles beim alten bleiben mit dem Unterschied nur, dass die Zwischenpacht wegfällt, aus der der Bürgermeister Kaltenegger bisher auf Kosten der Ehegatten Geratsdorfer ein leichtes Einkommen bezog. Die Treuhänderlösung lehne man kategorisch ab.
Am 9. September 1941 tritt nun mit Gauhauptmann Karl Breitenthaler ein hoher NS-Funktionär aus der direkten Umgebung Gauleiter Eigrubers auf den Plan. Obwohl der St. Pantaleoner Ortsgruppenleiter und Bürgermeister schon am Scheitern des ersten Lagers zumindest indirekt mitbeteiligt war, obwohl die Angaben der Geratsdorfers über Kalteneggers Mitschneiden an der Pacht zum Nachteil auch des Betreibers exakt stimmen, wie der Haushaltsplan 1941 des Reichsgaus Oberdonau beweist, greift Breitenthaler zugunsten des Parteigenossen ein und gibt dem Gericht mehr oder weniger bindende Ratschläge: Wie Ihnen bekannt ist, unterhält der Reichsgau Oberdonau auf den den Genannten gehörigen Liegenschaften ein Zigeuneranhaltelager. (…) Da nunmehr ein vertragsloser Zustand herrscht, ich jedoch nur dann mit Geratsdorfer in ein Pachtverhältnis eintreten will, falls die von mir dringend befürwortete Anordnung auf treuhänderische Bewirtschaftung der Liegenschaften abgelehnt würde, bitte ich Sie, im Gegenstande ehestens zu entscheiden.
Doch von einem schnellen Urteil kann keine Rede sein. Kaltschnäuzig leugnet Kaltenegger bei den Zeugeneinvernahmen, offensichtlich mit Billigung höherer Stellen, die Tatsachen: Ich habe mich zur Zahlung eines Pachtzinses von 100.- RM monatlich an die Ehegatten Geratsdorfer verpflichtet und selbst für die Unterverpachtung nicht mehr als 100.- Reichsmark eingenommen. Ich habe daher kein Geschäft mit diesem Pachtvertrag gemacht und mich der Sache nur im „Öffentlichen Interesse“ angenommen. Das Verfahren wird schließlich erst am 24. Februar 1942 abgeschlossen. Es ergeht das von der Zentrale in Linz eingeforderte Urteil, die ehemals dort internierten Sinti sind zu diesem Zeitpunkt freilich schon tot.
Die Umstände dieses Verfahrens werden hier deshalb so ausführlich geschildert, weil letztlich der gegen die eigenen Interessen gerichtete Justamentstandpunkt des Gauhauptmanns (und damit wohl auch der Gauleitung), auf den billigen Kompromißvorschlag der Eheleute Gertasdorfer nicht einzugehen, den vertragslosen Zustand perpetuiert hat, mit allen Konsequenzen. Man muß sich vor Augen führen, daß parallel der Rieder Oberstaatsanwalt Dr. Josef Neuwirth seine Ermittlungen wegen der Toten des ersten Lagers trotz Drohgebärden der NSDAP ungerührt weitertreibt. Gauleiter Eigrubers direkte Interventionen, die Enthaftung der Beschuldigten betreffend, werden abgelehnt, am 15. August 1941 legt Neuwirth dem Reichjustizminister in Berlin vielmehr die Anklageschriften vor. Nicht nur der Lagerkommandant und drei Aufseher werden darin wegen zahlreicher Verbrechen, darunter Totschlag und Erpressung, angeklagt, auch dem hohen DAF-Funktionär und Gaubeauftragten für Arbeitserziehung Franz Kubinger soll wegen Mitschuld an der Körperverletzung mit tödlichem Ausgang der Prozeß gemacht werden.
Neuwirth überlegt sogar, die Spitzen des Reichsgaus als Zeugen einzuvernehmen. Aus Gründen, die einer eigenen Untersuchung bedürften, erhält er für sein beabsichtigtes Vorgehen lange Zeit aus dem Reichsjustizministerium in Berlin jede Unterstützung. Man wird nicht fehlgehen, wenn man im zu jener Zeit tobenden Machtkampf zwischen Innen- und Justizministerium die wesentliche Ursache dafür sieht. Weyer-St. Pantaleon hat sich für die Gauleitung somit wohl zur veritablen Bedrohung ausgewachsen, zumindest aber zu einem bedeutenden Unsicherheitsfaktor. Es ist zum Beispiel nicht auszuschließen, daß auf dem Lagergelände des einen oder des anderen Verfahrens wegen gutachterliche Tätigkeit entfaltet werden wird. Jedenfalls entwickelt sich das Reichsgaulager langsam zum Klotz am Bein, womöglich gar zum Stolperstein selbst für höhere Funktionäre wie Kubinger.
Geht der Gauhauptmann noch Mitte September 1941 in der Hoffnung auf ein schnelles Urteil des Landbewirtschaftungsgerichtes in seinem Sinn ganz selbstverständlich von der Weiterführung des Lagers aus, kommt es kurz darauf zu einer vollkommenen Kehrtwendung. Anlaß dafür sind Bestrebungen, in Łodz, jetzt Litzmannstadt, im besetzten Polen ein Zigeunerghetto einzurichten, das ausschließlich mit Transporten aus der Ostmark bestückt werden soll. Obwohl entsprechende Dokumente bisher nicht zur Kenntnis des Verfassers gelangt sind, ist der Schluß nicht gänzlich von der Hand zu weisen, daß Fehleinschätzungen hoher NS-Funktionäre im Verein mit Gerichtsinstanzen, die sich nicht so einfach unter Druck setzen ließen, letztlich mit dazu führen, daß sich die Verantwortlichen Oberdonaus um eine Beteiligung am Łodz-Plan bemühen. Dazu kommt, daß sich, wie erwähnt, ein immer höherer Zuschußbedarf für das Lager abzeichnet, zumal auch der Einsatz der Sinti als Zwangsarbeiter seit Ende August wegfällt. In einem von falschen Behauptungen durchzogenen Dokument der Bundespolizeidirektion Linz aus dem Jahre 1954 findet sich der zweifelhafte Hinweis, ihre Arbeitsleistung wäre mit wenig Erfolg begleitet gewesen. Dies steht freilich in auffälligem Gegensatz zu den positiven Berichten über die Effizienz des Arbeitseinsatzes der Sinti in Salzburg-Maxglan.
Nach Łodz sollten ursprünglich 5000 Roma und Sinti aus der Osthälfte der Ostmark deportiert werden. Die Transporte erfolgen denn auch aus der Oststeiermark und dem (damals nicht existenten) Burgenland, nämlich aus Hartberg, Fürstenfeld, Mattersburg, Roten Thurm (sic!), Oberwart. Die meisten Sinti und Roma der Westhälfte werden erst viel später, nämlich 1943, zur Vernichtung überstellt, hauptsächlich nach Auschwitz.
Die Bemühungen sind tatsächlich erfolgreich, und so werden von der Kripo Linz Anfang November 1941 insgesamt mindestens 301 Personen aus Weyer zunächst nach Lackenbach überstellt, wo sie umgehend in einen der fünf je tausend Gefangene umfassenden Transporte nach Litzmannstadt eingereiht werden. Bei der Zahl 301 dürfte es sich allerdings um einen Tippfehler handeln, denn es werden für die aus Oberdonau angelieferten Sinti und Roma die Lagernummern 2541 bis 2848 vergeben, also 308 Nummern.
Dennoch deckt sich diese Zahl nicht völlig mit jener von 326 Personen, die laut den Häftlingslisten von Weyer Anfang November 1941 dort interniert gewesen sein müssen. Was also mit zumindest achtzehn von ihnen geschah, ist vorläufig nur in einigen Fällen geklärt. Nicht einmal ihre Namen konnten bis auf Ausnahmen eruiert werden, weil eine Namensliste der nach Lackenbach Überstellten bislang nicht gefunden wurde. Eine mögliche Fehlerquelle sind die Häftlingslisten des Lagers Weyer selbst. Entlassungen, Todesfälle, Überstellungen wurden zuweilen lediglich handschriftlich neben dem maschingeschriebenen Ursprungseintrag ergänzt. Darüber hinaus liegen Dokumente bzw. Zeugenaussagen vor, daß es einigen Personen gelungen ist, den kurzen Lackenbachaufenthalt zu nutzen, aus dem Transport gereiht zu werden und in Lackenbach zu überleben.
Fast alle Internierten des Lagers Weyer-St. Pantaleon sterben jedoch im Ghetto Litzmannstadt oder spätestens Anfang 1942 in den getarnten Gaswagen von Kulmhof (Chelmno). Die Todeslisten von Łodz sind verschollen, nur über Aufzeichnungen des Gesundheitsamtes der Stadt, die Toten einer Fleckfieberepidemie betreffend, ist ein gutes Zehntel der Opfer eindeutig namentlich zu identifizieren. Was die aus Weyer dorthin Deportierten anlangt, liegt die Zahl der durch den Verfasser identifizierten bei 19. Darunter befindet sich zum Beispiel der Vater Rosa Kerndlbachers, Johann, aus dem Tiefen Graben in Ach an der Salzach im Innviertel.
Zusammenfassend läßt sich sagen, daß das Zigeuneranhaltelager Weyer seinen Anfang, womöglich auch sein Ende plötzlichem Reagieren der politisch Verantwortlichen bzw. der Behörden auf unvorhergesehene, aber vorhersehbare Ereignisse verdankt und wohl, grundsätzlich bereits in Erwägung gezogen, nur zufällig im Südwesten des Innviertels zu liegen kam. Diese Ereignisse sind einerseits der Fehleinschätzung der Gauleitung zuzuschreiben, im Jahr 1940 bereits nach Lust und Laune morden lassen zu dürfen und dabei ähnlich wie Himmlers Konzentrationslagerimperium außerhalb der Gesetze zu stehen, andererseits dem Irrglauben, ein Fingerschnippen würde genügen, um gerichtsanhängige Liegenschaftsverfahren im Handumdrehen zu ihren Gunsten zu entscheiden.
So wie über Weyer auch zahlreiche dorthin überstellte Kärntner oder in Oberdonau 1939 festgesetzte Sinti (und einige Roma) aus anderen Gauen zur Vernichtung nach Łodz transportiert wurden, darunter selbst welche aus dem Altreich, kamen viele der oberösterreichischen Sinti natürlich auch anderswo ums Leben, ein bedeutender Teil über den Umweg Salzburg-Maxglan in Auschwitz, wie Gert Kerschbaumer kürzlich festgestellt hat. Auch von den 14 offiziell Entlassenen des Lagers Weyer haben nicht alle den Naziterror überlebt. Die Romni Juliane Karoly zum Beispiel, geb. 1878 in Mönchmaierhof (sic!), wurde am 3. September 1941 entlassen, später wieder verhaftet und fand am 20. Juni 1943 in Auschwitz den Tod.
Nur in direktem Bezug auf das Lager Weyer-St. Pantaleon muß hier unbedingt auch noch auf die Nachkriegszeit eingegangen werden: Der gesamte Komplex des zweiten, also des Zigeuneranhaltelagers, bleibt bei den Volksgerichtsprozessen zu den Verbrechen im Arbeitserziehungslager völlig ausgespart, wiewohl in der Person des SA-Sturmführers Gottfried Hamberger, Verwalter in beiden Lagern und jetzt auf der Anklagebank, sowie in buchhalterischer Hinsicht eine gewisse personelle wie strukturelle Kontinuität gegeben ist.
Offenbar hat sich die Staatsanwaltschaft hinsichtlich des zweiten Lagers überhaupt nicht eingelesen, sonst könnte Hamberger bei der Hauptverhandlung am 2. Juni 1948 nicht unwidersprochen so dreist lügen, wenn er angibt, er sei nach Schließung des Arbeitserziehungslagers im Jänner 1941 von der DAF entlassen worden und habe dann einen Urlaub angetreten. Im Februar 1942 sei er schließlich bis 20. April 1942 als Wirtschaftsführer nach Waldegg in ein Anhaltelager für Zigeuner gekommen. In Wirklichkeit hat er statt des überlangen Urlaubs mitten im Krieg durchgearbeitet und zum Beispiel am 5. Mai 1941 im Verein mit Bürgermeister Kaltenegger den Totenschein eines umgekommenen Weyer-Insassen unterfertigt.
Die Behörden der Zweiten Republik sehen keinerlei Veranlassung, Licht ins tiefe Dunkel des Massenmordes an den autochthonen Sinti (Ober-)Österreichs zu bringen, obwohl einige wenige Überlebende einerseits nach dem Verbleib ihrer Angehörigen forschen und andererseits auch auf eine Unterstützung durch die Opferfürsorge hoffen, wofür sie freilich als Grundvoraussetzung Dokumente benötigen, um welche die Bedauernswerten oft bei den Behörden einkommen müssen, weil sie nach den Befreiungen der Lager über keine mehr verfügen. Der Verfasser will nicht beurteilen, ob die Unterlassungen in den Volksgerichtsverfahren, die falschen und oft rüden Auskünfte der Behörden, die Großjährigkeitserklärungen ermordeter Kinder durch das Bezirksgericht etc. aus Ignoranz geschehen, aus Schlamperei oder gar vorsätzlich. Für das Ergebnis, die komplette Vernebelung des Kapitels Zigeuneranhaltelager Weyer-St. Pantaleon, ist die Motivlage ohne Bedeutung.
Im März 1954 erkundigt sich das Amt der o.ö. Landesregierung bei der Bundespolizeidirektion Linz, was es mit diesem Lager auf sich gehabt habe. Unter dem Betreff Zigeunerlager Weyer; Erhebung erfolgt eine Antwort, die faktisch zum Teil unrichtig ist, in ihrer Argumentation jene des NS-Unrechtsstaates unkritisch übernimmt und sich, was die entscheidende Frage anlangt, auf Unwissenheit beruft: Das am 19.1.1941 errichtete Zigeunerlager wurde am 2.3.1941 schon wieder aufgelassen, da die Arbeitsleistung der Zigeuner mit wenig Erfolg begleitet war. In Wirklichkeit bestand das Lager bis Anfang November 1941, und die monokausale Begründung für seine Auflassung ist, wie erläutert, mit einem großen Fragezeichen zu versehen. Mit Verweis auf den Festsetzungserlaß 1939 heißt es in dem Dokument der Bundespolizeidirektion: Da aber die Zigeuner diese Verordnung nicht einhielten und immer wieder ihren Aufenthaltsbezirk verließen, wurden Zigeunerlager geschaffen. An ihrer Vernichtung seien sie eben selbst schuld gewesen, ist die nur wenig kaschierte Botschaft dieser Einlassung. Selbstverständlich versuchten manche der zu einem festgesetzten Datum zufällig irgendwo Gestrandeten, sich nach Hause durchzuschlagen oder an Orte, die ihnen vielleicht bessere Perspektiven für ein Überleben boten, aber nicht einmal die völlig assimilierten, in Mietshäusern wohnenden und fix beschäftigten Sinti entkamen ihrer Einweisung in Anhalte- oder Konzentrationslager. Apropos: Sämtliche Insassen des Zigeunerlagers Weyer wurden in das große Zigeunersammelager nach Lackenbach im Burgenland gebracht. Was dort mit den Zigeunern geschah, ist ha. nicht bekannt. Der unmißverständliche Lackenbacher Eintrag über den Absender des Transports läßt es freilich völlig unwahrscheinlich erscheinen, daß die Linzer Polizeibehörden ihrerseits in den Dokumenten vom November 1941 nicht Klartext sprachen: Dienstag, 4. November 1941. Von Kripo Linz trafen heute früh 301 Zigeuner ein, die zur Evakuierung nach Litzmannstadt (Lodz) bestimmt sind.
1953 wäre Amalia Blach großjährig gewesen. Da war sie bereits zwölf Jahre tot. Während vergleichbare Mündelakten des Bezirksgerichtes Wildshut Aktenvorgänge bis unmittelbar vor der Großjährigkeit beinhalten oder, im Falle des Todes eines Mündels, dessen Sterbeurkunde den Aktenvorgang beschließt, bricht der Akt Amalia Blach mit der Einweisung der Neunjährigen ins Lager Weyer im Frühjahr 1941 ab. Trotzdem sieht der Bezirksrichter die Notwendigkeit, durch den Vermerk großjährig auf diesem letzten Blatt einen durch nichts gerechtfertigten Akt zu setzen, der das Überleben Amalias amtlich macht, obwohl sie verschwunden blieb.
In einer Reihe von Dokumenten für die Behörden des Ständestaates und des Dritten Reiches weist die Gemeinde Buchkirchen in den Dreißigerjahren des 20. Jahrhunderts jene Mitglieder der Großfamilie Blach aus, die als heimatberechtigt anerkannt werden, darunter Petrus und Katharina Blach, geb. Richter. In einer handschriftlichen Eingabe aus Wien vom 10. Mai 1947 gibt sich Katharina Blach als Witwe von Petrus Blach zu erkennen, macht eine ganze Reihe von konkreten und korrekten Angaben über Geburtsdaten, Mädchennamen etc., legt den Taufschein, den sie in ihrer Geburtsstadt Wien offenbar organisieren konnte, sowie zehn Schilling für die Schreibgebühr bei und schließt: Da ich alle Dokumente im K.Z.Lager verloren habe, ersuche ich um einen Heimatschein.
Folgt anbei Ihr Geburts- und Taufschein, heißt es amtlich knapp in der postwendenden Antwort der Gemeinde, sowie die beigelegten 10 Schilling mit dem Bemerken zurück daß in der h.a. Heimatrolle eine Blach Katharina geboren am 3.4.1894 nicht aufscheint. Es kann daher eine Bestätigung über Ihr Heimatrecht am 13.3.1938 nicht übersandt werden.
Das ist natürlich falsch, die betreffenden Dokumente sind alle erhalten und noch heute in einem dicken Konvolut gemeinsam mit den Nachkriegsakten aufbewahrt. Es ist nicht vorstellbar, daß der unterzeichnende Bürgermeister keine Möglichkeit gehabt hätte, den tatsächlichen Sachverhalt zu recherchieren. Daß sich der Buchkirchner Gemeindesekretär in einem der Heimatrollendokumente, dem vom Juni 1935, vertippt hat (die anderen sind korrekt) und statt dem 3.4. den 3.9. als Katharina Blachs Geburtstag eintrug, kann eine – wenn auch erschütternde – Erklärung für die brüske Zurückweisung von Frau Blachs Ersuchen sein.
Falsche behördliche Auskünfte wie diese hatten katastrophale Auswirkungen für die Betroffenen, denn Ansprüche, die den Roma und Sinti ohnehin häufig verweigert wurden, waren an die Staatsbürgerschaft bzw. den Heimatschein gebunden. Der Zusammenhang zwischen Katharina Blach und dem Lager Weyer-St. Pantaleon ist übrigens schnell hergestellt: Auch sie, die offenbar ein anderes Konzentrationslager überlebt hat, betrauert den Tod zahlreicher naher Verwandter, die über Weyer in den Łodzer Tod gingen, darunter ihre Nichte Juliane und deren Sohn Ludwig, einen Säugling, von denen hier bereits die Rede war. Weit über ein Dutzend der in Buchkirchen heimatberechtigten Mitglieder der Familie Blach erging es wie Juliane und Ludwig Blach.
Dazu kommt noch, daß die Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit im Innenministerium bereits 1948 das Zigeunerunwesen wieder zum Gegenstand eines Rundschreibens an alle Sicherheitsorgane macht. Dieses mache sich schon wieder unangenehm bemerkbar. Um auf die Bevölkerung Eindruck zu machen, sollen sich Zigeuner oftmals als KZ-ler ausgeben. Hingewiesen wird in diesem zynischen Text besonders auf die Ausländerpolizeiverordnung, gegen lästige Zigeuner wäre mit der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes vorzugehen und ihre Ausserlandschaffung durchzuführen. Die widerrechtliche Verweigerung der Anerkennung des Heimatrechtes, also der Voraussetzung für die Staatsbürgerschaft, macht traumatisierten Menschen wie Katharina Blach jedenfalls das Leben auch aus diesem Grund umso schwerer. Rosa Winter, geborene Kerndlbacher, auf die Welt gekommen in Königswiesen, einst zuständig nach Hochburg-Ach, erhält nach einem langem bürokratischem Hürdenlauf die Staatsbürgerschaft erst 1991 zurück. Wie den beiden Genannten geht es vielen.
Schnell wächst in diesem Klima Gras über das Zigeuneranhaltelager Weyer-St. Pantaleon. Schon 1959 sind die Spuren so verwischt, daß selbst die Bezirkshauptmannschaft Braunau keine Ahnung mehr von den beiden einzigen NS-Lagern im Bezirk hat. Der Postenkommandant der Gendarmerie Wildshut muß die um Auskunft ersuchende Behörde zunächst einmal aufklären, daß es sich um zwei Lager gehandelt hat, nicht um eines, und anschließend erläutern, was dort geschah, ohne allerdings ein einziges Wort über die Toten zu verlieren.
Das rasche Vergessen befördert auch ein weiterer Umstand: Die von den Nationalsozialisten nach St. Pantaleon eingemeindete Kommune Haigermoos erhält nach dem Krieg ihre Eigenständigkeit zurück. Damit liegt Weyer nun nicht mehr in St. Pantaleon. Selbst noch bei den Recherchen viele Jahrzehnte später ist fühlbar, daß sich beide Gemeinden nicht wirklich zuständig für ein würdiges Erinnern fühlen, die eine, weil es sie zum Zeitpunkt der Geschehnisse gar nicht gegeben hat, die andere, weil Weyer jetzt außerhalb ihrer Grenzen liegt.
Der Verfasser hat sich bemüht, auch die Zeitungen der ersten Nachkriegsjahre nach Artikeln über das Zigeuneranhaltelager Weyer-St. Pantaleon zu durchforsten. Während das Arbeitserziehungslager allein durch die sich über viele Jahre hinziehenden Volksgerichtsprozesse immer wieder Thema ist, blieb das Ergebnis für das Nachfolgelager dürftig. Einzig in einem Artikel Ludwig Weinbergers mit dem Titel „Der Naturschutz und das Ibmer Moor“ in der Wochenzeitung Neue Warte am Inn vom Jänner 1946 findet sich ein indirekter Hinweis. Weinberger beklagt sich, daß die Nazis schlechte Naturschützer waren und spricht sich gegen die Fortführung des Entsumpfungsprojektes aus. Anschaulich schildert er den gegenwärtigen Stand der Dinge: Bald werden die Ausmaße des Kanals kleiner, er wird nachlässiger, es folgen verrutschte Stellen, dann kommt schlampiger Rohbau und endigt schließlich in einem Stück, in dem die Zigeuner herumwühlten. Wieder blieb der Bau im Dreck stecken. Indem er auf weitere Erläuterungen verzichtet, setzt der Autor voraus, daß jeder im Bezirk Braunau zur Jahreswende 1945/46 weiß, wovon hier die Rede ist. Das ist bemerkenswert. Daß die näheren Umstände und damit das Lager Weyer ausgespart, die Zigeuner aber treffsicher mit „Herumwühlen“ und „Dreck“ in Beziehung gesetzt werden, obwohl die Barbarei, die viele Tausende von ihnen allein in Österreich das Leben kostete, erst sieben Monaten zuvor zu Ende ging, zeugt vom ungebrochenen zähen Fortleben einer Gesinnung, der die Behörden dieses Landes seit dem 19. Jahrhundert mit allen Mitteln Vorschub leisteten und die während der NS-Gewaltherrschaft in einen lange Zeit wenig beachteten Massenmord führte.

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Ludwig Laher schrieb ab 1999 an seinem mittlerweile in sechs Ländern erschienenen Roman "Herzfleischentartung" (Haymon 2001; haymon tb 8 2009; www.ludwig-laher.com), in dessen Mittelpunkt die Geschehnisse von St. Pantaleon zwischen 1940 und 1955 stehen. Die Recherchen dazu brachen den Stein ins Rollen, eine Erinnerungsstätte zu schaffen. Der folgende Text wurde damals offiziell für die Gemeinde St. Pantaleon verfaßt und diente als Grundlage für die weiteren Aktivitäten. Der Titel "Ergänzung einer Ortschronik" bezieht sich auf einen gleichnamigen Aufsatz des Historikers Andreas Maislinger aus den 80er Jahren, in welchem er eine solche Ergänzung der Gemeindegeschichte fordert. Maislinger, dem einige frühe Aktivitäten zum Thema zu verdanken sind, mahnte weiters an, die Namen der damals nur zum Teil bekannten Opfer auf dem Kriegerdenkmal des Ortes zu ergänzen.
An der Erinnerungsstätte finden sich heute die Namern von Johann Gabauer (53) aus Julbach (Tod am 20.8.1940, Franz Ennsthaler (53) aus Sierning (Tod am 4.9.1940), Anton Atzelsberger (50) aus Linz (Tod am 13.12.1940), Ludwig Kriechbauer (36) aus Steyr (Tod am 23.12.1940), Josef Mayer (42) aus Neukirchen/Enknach (Tod am 27.12.1940), Maria Daniel (5) aus Eggerding (Tod am 27.4.1941), Rudolf Haas (1 Monat) aus St. Pantaleon (Tod am 6.5.1941), Maria Justina Müller (74) aus Höhenbergen/Tainach (Tod am 17.5.1941).

Ludwig Laher

Das Arbeitserziehungs- und Zigeuneranhaltelager St. Pantaleon-Weyer

Ergänzung einer Ortschronik

Im Jahre 1938 wurde die Gemeinde Haigermoos an St. Pantaleon angegliedert. Aus diesem Grunde konnte es in einschlägigen Schreiben des NS - Gauleiters Eigruber vom 31. Mai 1940 und des NS - Beauftragten für Arbeitserziehung Kubinger vom 10. September 1940 auch heißen, daß in St. Pantaleon bei Ibm-Waidmoos, Kreis Braunau, ein Arbeitserziehungslager der Deutschen Arbeitsfront (DAF) eingerichtet wird bzw. wurde. Dieses befand sich im Weiler Weyer (heute wieder Haigermoos), die Inhaftierten waren im heutigen Gemeindegebiet von St. Pantaleon zur Moosachregulierung eingesetzt.

In dem erwähnten Schreiben An alle Bürgermeister im Reichsgau Oberdonau heißt es u.a.: Eingeliefert können solche Volksgenossen werden, die die Arbeit grundsätzlich verweigern, die dauernd blaumachen, am Arbeitsplatz fortwährend Unruhe stiften oder solche, die überhaupt jede Annahme einer Arbeit ablehnen, obwohl sie körperlich dazu geeignet sind. Sie müssen aber alle das 18. Lebensjahr erreicht haben. Auch asoziale Betriebsführer sind inbegriffen. Nur Fälle krimineller Natur können hieramts nicht behandelt werden. Und Schwerinvalide, weil schwere körperliche Arbeit geleistet werden muß.

Im Klartext heißt das, daß sich die Bürgermeister, DAF - Funktionäre etc. unliebsamer Zeitgenossen bequem entledigen konnten. K. G. aus M. etwa, Verwalter eines großen holzverarbeitenden Betriebes, hatte sich geweigert, eine DAF-Fahne für das Werk anzuschaffen und eine Betriebsspende für die DAF zu leisten. G. wurde verhaftet und nach Weyer verbracht. Die Jugendlichen O. H. und H. M. weigerten sich, am Betriebssport der Papierfabrik in S. teilzunehmen. Sie wurden entlassen, später wieder eingestellt und genötigt, sich am HJ-Sportprogramm zu beteiligen. Bei einem Fußballspiel kam es zum Streit mit dem HJ-Betriebsjugendwalter, worauf die beiden als asozial (und gegen die Bestimmungen, weil sie unter 18 waren) nach Weyer eingeliefert wurden. W. B. aus dem mährischen B. arbeitete als Mechaniker in Linz und soll ein Verhältnis mit einer deutschen Frau unterhalten haben, das dem gesunden Volksempfinden widersprach. Resultat: Weyer.

Die "zur Umerziehung Bestimmten" wurden bei der Festnahme nicht über die Gründe ihrer Einweisung informiert, erst der Lagerkommandant in Weyer tat dies kurz. Widerspruch hatte sofortige Gewaltanwendung zur Folge, Rechtsmittel gab es keine, auch keine ärztliche Untersuchung der Lagerfähigkeit.

Die sogenannte "Erziehung" oblag unqualifizierten SA-Männern der Gruppe Alpenland, die ihren Sadismus an den Recht- und Wehrlosen ausleben konnten. Übergriffe erfolgten sowohl im Lager selbst als auch während der Arbeit an der Moosach. Die Bevölkerung hingegen wurde massiv eingeschüchtert. Als die Rodinger etwa die Mißhandlungen am Lagerhäftling S. R. mitansehen mußten, wurde per Anschlag durch den Bürgermeister von St. Georgen gedroht, die Gestapo zu holen, wenn jemand davon etwas weitererzähle. Auch die Zivilarbeiter der Wassergenossenschaft wurden zum absoluten Stillschweigen verpflichtet.

Manchmal gelang es Dr. A. St., Gemeindearzt von St. Pantaleon und gleichzeitig Lagerarzt, Schwerstverletzte in die Spitäler von Laufen oder Salzburg überweisen zu dürfen. Eine einschlägige Krankengeschichte: Es wurden am ganzen Körper Striemen vorgefunden. E. kam im Spital vorübergehend zu Bewußtsein und erzählte, er sei wiederholt ins Wasser geworfen worden. Er starb am 4. September 1940. Der leitende Arzt veranlaßte die Leichenöffnung, bei der über den ganzen Rücken ausgebreitete, oberflächliche, blutige Epitheldefekte, besonders an den vorspringenden Teilen des Rückens sowie am Hinterkopf und Oberarm festgestellt wurden. Sie stellen offenbar die Folge der Mißhandlungen dar.

Weihnachten 1940 wurden, um ein weiteres Beispiel zu geben, acht oder neun Häftlinge vor allen anderen durch unzählige Knüppelhiebe auf das Gesäß schwerst verletzt. Ein Insasse starb an dieser "Behandlung", die vom Wachpersonal zynisch "Weihnachtszüchtigung" genannt wurde.

Dieser Fall, der fünfte Mord kurz hintereinander, veranlaßte Dr. St. zu einer Anzeige beim Amtsgericht Wildshut. Die Staatsanwaltschaft Ried wurde eingeschaltet. OSTA Dr. J. N. begann zu ermitteln, er stellte zahlreiche Verletzungen selbst der (offiziellen) Gesetze des Dritten Reiches fest und erhob Anklage gegen Lagerleitung und Wachmannschaft u.a. wegen Totschlags, Erpressung, gefährlicher Bedrohung von Lagerinsassen und Bevölkerung sowie wegen Mißbrauchs der Amtsgewalt, weil entgegen dem Wortlaut des Erlasses auch Jugendliche unter 18 eingeliefert und malträtiert worden waren.

In dieser Situation wurde das Arbeitserziehungslager Anfang 1941 blitzartig geschlossen, wichtige Akten beiseitegeschafft, einige Häftlinge nach dem Versprechen absoluten Stillschweigens über alle Verbrechen entlassen und die anderen ins KZ Mauthausen überstellt. Selbst dort wollte Oberstaatsanwalt N. noch 51 Zeugen befragen (!), was ihm verweigert wurde. Im Verein mit dem Linzer Generalstaatsanwalt wurden greifbare Zeugen vernommen und die Einvernahmen der Beschuldigten durchgeführt. Die Beweislage war erdrückend, als nach Intervention von Gauleiter Eigruber der Reichsjustizminister in Berlin mit Ermächtigung von Adolf Hitler durch einen Niederschlagungsbescheid des Verfahrens die mutigen Staatsanwälte vor vollendete Tatsachen stellte.

Es sind aber alle Vorerhebungsakten sowie die Anklageschriften der NS - Gerichte (!) erhalten. Lückenlos lassen sich die schlimmsten Folterungen und Tötungsdelikte im Detail nachvollziehen. Sie stehen jedenfalls den einschlägigen Zeugenaussagen aus den großen Konzentrationslagern in nichts nach. Das grauenhafte Denunziantentum im Land, die massive Einschüchterung der Bevölkerung, die Komplizenschaft der St. Pantaleoner Gemeindepolitik, all das ist eindrucksvoll und ausführlich dokumentiert, die Akten liegen mir vor.

Unmittelbar nach Schließung des Arbeitserziehungslagers wurden vorwiegend österreichische (darunter auch im Innviertel geborene) Roma in Weyer interniert, das Lager wurde ab jetzt als Zigeuneranhaltelager bezeichnet. Wachpersonal und Lagerleitung wurden ausgewechselt, ein Gendarmeriemeister sowie zehn Polizeireservisten als Personal bzw. ein Kripobeamter aus Linz als Leiter eingesetzt. Nur noch als Verpflegungsverwalter war ein SA-Mann in Zivil (allerdings einer der Täter des Arbeitserziehungslagers) im Einsatz.

Auch die Roma wurden zunächst bei der Ibm-Waidmooser Entwässerung eingesetzt. Im Gegensatz zum Arbeitserziehungslager, in das nur Männer eingeliefert wurden, waren nunmehr auch Frauen und Kinder interniert, die u.a. den Bauern der Umgebung bei der Ernte helfen mußten. Es soll dabei auch zu Diebstahlshandlungen, hauptsächlich von Nahrungsmitteln, gekommen sein. Andererseits versuchten manche Bauern, den Bedauernswerten etwas Essen zuzuspielen. Verläßliche und nachprüfbare Berichte über die Behandlung der "Zigeuner" im Lager existieren nach meinem Wissen nicht. Wohl aber sind die buchhalterischen Akten erhalten, aus denen sich indirekt vieles rekonstruieren läßt ("Belag", Ausbeutung der Arbeitskräfte etc.). Mittelbare Rückschlüsse lassen sich auch aus den erhaltenen Sterbeakten ziehen: Während der Tod eines Opfers des Arbeitserziehungslagers dem Standesbeamten immerhin noch vom Gemeinde- und Lagerarzt angezeigt wurde, besorgten das im Zigeuneranhaltelager der Lagerleiter bzw. dessen Stellvertreter selbst. Es ist mithin davon auszugehen, daß den Betroffenen ärztliche Hilfe verweigert wurde. Die von der Lagerleitung angegebenen Todesursachen (Lebensschwäche oder Herzkollaps bei Kindern bis hin zur Herzfleischentartung (!) bei einer Frau) sprechen für sich. Selbst im Tod wird die unterschiedliche Behandlung von "Volksgenossen" (Arbeitserziehungslager) und "Zigeunern" aufrecht erhalten. Erstere wurden auf dem Friedhof von St. Pantaleon bestattet, bei letzteren verliert sich die Spur nach ihrem Tod völlig.

Im November 1941 wurde das Zigeuneranhaltelager aufgelöst, die überlebenden 301 Häftlinge wurden, nur spärlich bekleidet, in Bürmoos in Viehwaggons verladen und nach einem kurzen Zwischenaufenthalt im burgenländischen Lackenbach ins Zigeunerghetto Lodz transportiert, von wo keines der Opfer lebend zurückgekehrt ist. Die besonders qualvollen Todesumstände der Betroffenen sind in der einschlägigen Literatur ausführlich dokumentiert.

Nach dem Krieg wurde ein einziger der Aufseher des Arbeitserziehungslagers, nämlich jener, dem durch die Anzeige des Arztes Dr. St. die unmittelbare Beteiligung an der Tötung eines Häftlings während der "Weihnachtszüchtigung" nachgewiesen werden konnte, zu 15 Jahren Haft verurteilt, alle anderen Straftaten blieben ungesühnt.

Kurz vor Kriegsende wurden in der Gemeinde St. Pantaleon fast alle Akten über die Jahre 1938 bis 1945 vorsätzlich vernichtet. Die Geschehnisse können deshalb nur über Zeitzeugenberichte und vor allem über Dokumente aus verschiedensten Archiven mühsam rekonstruiert werden. Jahrzehntelang hat man es verabsäumt, im Sinne der historischen Wahrheit und der Erziehung der Jugend auch dieser dunklen Seiten der Ortsgeschichte zu gedenken. Die als Buch erschienene Ortschronik von 1979 verzeichnet zwar im Detail, daß am 16. Oktober 788 Sendboten des Erzbischofs von Köln durch den Amtmann von Ranshofen empfangen wurden, daß 1822 die letzte Hinrichtung am Wildshuter Galgenhügel stattfand, sie berichtet zurecht über den Schmerz der Angehörigen von 48 Gefallenen und 16 Vermißten des Zweiten Weltkriegs etc., das Lager Weyer und die Untaten dort sowie an der Moosach selbst werden nicht mit einem Wort erwähnt, obwohl selbstverständlich davon die Rede ist, daß Haigermoos während des Krieges (und übrigens auch die ersten Jahre danach) zu St. Pantaleon gehörte. Auch ein Hauptschulprojekt in den 80er Jahren blieb letztlich folgenlos.

Den Einwänden, eigentlich liege Weyer heute wieder in der Gemeinde Haigermoos, mit St. Pantaleon habe das alles nichts zu tun, muß folgendermaßen entgegengetreten werden: Erstens war St. Pantaleon politisch zuständig, die Dokumente erweisen zweifelsfrei, daß NS - Gemeindeorgane wiederholt im Lager waren, Schwerverletzte sahen, selbst am Delikt der gefährlichen Bedrohung der Bevölkerung Anteil hatten, indem sie bei Reden jedem, der etwas von den Übergriffen erzählen würde, selbst die Einweisung ins Lager androhten und vor Kriegsende sämtliche bei der Gemeinde lagernden Akten vernichteten. Die Germeindeverwaltung St. Pantaleon hat damit nicht nur jenes Mindestmaß an Zivilcourage vermissen lassen, das z. B. den damaligen Gemeindearzt oder den Justizapparat im Gau Oberdonau ausgezeichnet hat, sondern den Schergen aktiv Vorschub geleistet. Zweitens heißt es in der Anklage aus 1941 (!), daß ein großer Teil der fürchterlichsten Straftaten direkt an der Arbeitsstelle, also im heutigen St. Pantaleon, begangen wurde.

Wie die Gemeinde Haigermoos mit ihrer Geschichte umgeht, ist die Sache der Gemeinde Haigermoos.

Endlich, in den Jahren 1999/2000, 60 Jahre nach Einrichtung der Terrorstätte, erfolgt ein Bekenntnis der Gemeinde St. Pantaleon, erinnert man sich derer, die hier gequält und/oder getötet wurden. Um nicht mehr und nicht weniger geht es. Niemandes Name wird hier genannt, obwohl alle bekannt sind, keine persönliche Anschuldigung erhoben. Wem würde solches nach so langer Zeit nutzen? Niemand behauptet, daß alle Inhaftierten der beiden Lager Engel waren. Aber sie waren hilflos der Vernaderei ausgeliefert die einen, dem Rassenwahn die anderen, und alles passierte mitten unter uns. Wer nicht aufhört zu verdrängen, wird nie mit sich ins reine kommen. Wer keine Lehren aus der Geschichte zieht, bereitet die Saat für neues Unrecht. Die Gemeinde St. Pantaleon verneigt sich vor den Opfern.

Dr. Ludwig Laher, Gemeindevorstand, Leiter des DOSTE-Arbeitskreises Kultur. 30. März 2000