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Gottfried Gansinger / Ludwig Laher
Das kurze Leben
des Eisenbahners Alois Auleitner

Alois Auleitner kommt am 28. Mai 1916 in Ried im Innkreis auf die Welt. Fotos zeigen ihn als wohlbehütetes Kind im Matrosenanzug, als elegant gekleideten jungen Mann. Auf einer nicht genau datierten Krankenkassenanmeldungsliste findet sich sein Name 1940 als Insasse des Arbeitserziehungslagers Weyer-St.Pantaleon. Die persönlichen Daten stimmen mit Ausnahme der Berufsbezeichnung. Auleitner war nämlich nicht Handelsangestellter, sondern Eisenbahner in seinem Heimatort, was ihn zunächst vom Kriegseinsatz verschonte, obwohl er im November 1939 bereits dafür registriert wurde.
Im Juli 1940 wird er von der Deutschen Reichsbahn überraschend zum Gleisbauzug in die Saarpfalz versetzt. Nach Aufnahme und Einkleidung erscheint er dort jedoch nicht zum Dienst. Umgehend begibt Auleitner sich nämlich nach Ried zurück, um in die Metallbranche zu wechseln. Zu den Ursachen dafür gibt es keine verlässlichen Quellen, sein weiterer Lebensweg gibt allerdings einigen Anlass zur Vermutung, dass der junge Mann damals bereits seine spätere Frau gekannt haben dürfte und nicht so weit von ihr entfernt leben wollte. Der 24-jährige dürfte naiv genug gewesen sein zu glauben, dass ein solches Verhalten im Krieg ohne gravierende Konsequenzen bleiben würde.
Seine unerlaubte Entfernung vom Dienstort wird als Arbeitsvertragsbruch gewertet. Der NS-Bürgermeister von Ried ergreift sofort die Initiative und teilt dem Vorstand des Reichsbahnhofes mit, es sei angezeigt, Auleitner in ein Zwangsarbeitslager einzuweisen. Als Arbeitsplatzflüchtling wird Alois Auleitner schließlich nach Weyer-St. Pantaleon überstellt. Er überlebt die Torturen dort bis zur überhasteten Schließung des Lagers am 9. Jänner 1941. Wie seine Mitgefangenen wird er ins KZ Mauthausen überstellt und dort als politischer Häftling rubriziert. Auleitner verdankt wie die anderen Weyer-Insassen dem mutigen, von der NSDAP bekämpften Einschreiten von Oberstaatsanwalt Dr. Josef Neuwirth, der die Erhebungen gegen Lagerkommandant und Aufseher führt, die Einweisungsgründe erforscht und die Weyer-Häftlinge als Opfer behördlicher Willkür ansieht, seine Freilassung aus Mauthausen am 15. Februar 1941.
Allerdings wurde sein Vater nach Angaben des Sohnes sofort nach der Entlassung aus dem Konzentrationslager eingezogen und zur Bewährung einer Strafkompanie der Wehrmacht zugeteilt. Seine Braut dürfte er von Sommer 1940 bis zur Heirat Anfang 1943 also kaum zu Gesicht bekommen haben. Theresia Auleitner bringt 1944 den Sohn Alois zur Welt. Wenige Monate später kommt Auleitner im Feld ums Leben. Als Todestag gilt der 6. Jänner 1945. Sein Kind hat er wahrscheinlich nur einmal gesehen.

Gottfried Gansinger ist für sein höchst informatives, detailreiches Buch ‚Nationalsozialismus im Bezirk Ried im Innkreis. Widerstand und Verfolgung 1938 – 1945‘ (Studienverlag 2016) den Schicksalen von Weyer-Internierten aus dem Bezirk Ried nachgegangen, hat die meisten Informationen zu Alois Auleitner dafür recherchiert und die Bilder aus seiner Sammlung zur Verfügung gestellt.

 

Ludwig Laher

Ecce homo.
Die Passionsgeschichte des Josef Mayer

(Vortrag in Neukirchen an der Enknach am 12. Juni 2015)

Man lernt sie heutzutage Gott sei Dank in der Schule, die bedeutendsten Opfergruppen der größten Barbarei des 20. Jahrhunderts: Juden, Roma und Sinti, Behinderte, Homosexuelle, Zeugen Jehovas und religiös motivierte sowie politische Gegner des Naziregimes. Eine Gruppe wird dabei fast regelmäßig vergessen, obwohl ihre Zahl in die Zehntausende geht und ihr Schicksal nach meiner Überzeugung die beste Erklärung für die Radikalität der Verdrängungsmuster nach 1945 bietet. Die Rede ist von ganz gewöhnlichen Menschen wie  du und ich.
Sie waren keine mutigen Widerstandskämpfer und hatten nur das Pech, den NS-Gewaltigen aus den verschiedensten Gründen lästig zu sein. Da ist der Sägewerksgeschäftsführer, der es wagt, einem lokalen Nazi-Boss eine Mahnung zu schicken, weil der das Brennholz, das er für sich privat bestellt hat, einfach nicht bezahlen will, da ist der Lehrling, der, vom Lehrherrn fast jedes Wochenende ausgebeutet, am einzigen freien, für die HJ reservierten Sonntag im Monat den Kumpanen, die ihn zum Wehrsport abholen kommen, ausrichtet, es interessiere ihn nicht, er müsse einmal ausschlafen. Und da ist Josef Mayer aus Neukirchen.
Alle drei und viele andere Schicksalsgenossen werden ins Lager Weyer-St.Pantaleon eingewiesen, überleben mit Glück relativ unbeschadet wie der Lehrling, ziehen sich unter den schrecklichen Bedingungen des Lagerlebens chronische Leiden zu wie der schwer traumatisierte Sägewerksgeschäftsführer, der kurz nach dem Krieg daran zu Grunde geht. Oder sie werden wie Josef Mayer totgefoltert.
Wenn nun im Rahmen dieser Zeitgeschichteausstellung an den gelernten Schuster und späteren Arbeiter Josef Mayer erinnert wird, so nicht, um alte Wunden aufzureißen, sondern um an seinem Beispiel zu demonstrieren, was nie wieder eintreten darf: eine Herrschaft der hemmunglosen Willkür und des eiskalten Zynismus. NS-Bürgermeister, Landräte, Funktionäre der Deutschen Arbeitsfront und etliche mehr hatten im gesamten Gau Oberdonau nämlich das Recht, jedweden, der ihnen nicht passte, als arbeitsscheu oder asozial in das Arbeitserziehungslager am Südwestrand des Innviertels einweisen zu lassen. Rekursmöglichkeiten für die Betroffenen gab es keine.
Josef Mayer war ein ganz gewöhnlicher Bürger der Gemeinde Neukirchen, einer von mehreren Söhnen des Schuhmachermeisters und Hausbesitzers Theodor Mayer sowie der Bauerntochter Theresia, geborene Stopfner. Er kam am 19. März 1898 auf die Welt, heiratete am 20. November 1923 Maria Schweiger und konnte sich 1933 in Neukirchen den Bau eines eigenen Hauses leisten. Josef Mayer nahm am Vereinsgeschehen seiner Heimatgemeinde teil, ein erhaltenes Lichtbild zeigt ihn festlich gekleidet inmitten der ‚Tischgesellschaft Rauch Klub Neukirchen‘ an einem schneereichen Wintertag, wohl nur für den Fototermin kurz neben dem Gasthaus posierend. Zwei Rauchfreunde tun so, als würden sie Gitarre und Zither spielen, der Wirt am Bildrand hält zwei reichlich verzierte Maßkrüge in die Kamera.
Alles spricht also für ein durchschnittliches Leben eines ins soziale Umfeld integrierten Durchschnittsbürgers im ländlichen Oberösterreich. Am 23. Dezember 1940 wird Josef Mayer freilich als Asozialer in Lagerhaft genommen, am 27. Dezember ist er tot.

Der Rauchklub Neukirchen mit seinem Mitglied Josef Mayer (hinten 2. von rechts).

Das Ende seines Lebens ist hervorragend dokumentiert. Ich erzähle es in meinem dokumentarischen Roman ‚Herzfleischentartung‘ (2001) akribisch nach den Quellen. Hier der betreffende Ausschnitt:

Der nächste Tag (…) ist der Anfang vom Ende im Leben des eben frisch eingelieferten Häftlings Josef Mayer. Lagerkommandant August Staudinger knallt dem einundvierzigjährigen gelernten Schuster zum Auftakt aus nichtigem Anlaß, wie’s bei ihm der Brauch ist, die Faust ins Gesicht. Als der Herr Bürgermeister kurz darauf sein Lager betritt, Weihnachtsbesuch nennt er das, fällt ihm das verschwollene Gesicht Mayers gleich ins Auge, er trägt ein Pflaster auf dem Nasenrücken. Bürgermeister Kaltenberger fragt, ob es denn allen Schützlingen gut gehe. Niemand beschwert sich, alles bestens.
Am Heiligen Abend an der Baustelle: Josef Mayer wird mit einer Gummiwurst so heftig geschlagen, daß er zu Boden stürzt. Gegen Mittag schleicht er sich von Rückenschmerzen ganz gebückt zurück in die Reihe. Antreten zum Essen. Josef ist der SA entschieden zu langsam, steht überdies nicht ordentlich aufrecht und stramm, wie es sich gehört. Dieser Neue wird noch viel lernen müssen oder schnell wieder ausscheiden. Erneut die Prügel, bis er in Ohnmacht fällt. Der schneidige Alois hält ihm die Pistole an die Schläfe und droht abzudrücken. Mayer reagiert nicht mehr, er bleibt vorerst im Schnee liegen. Schließlich wird der Bewußtlose auf einen Schlitten verfrachtet und - zur Feier des Tages schließt man heute etwas früher – heim ins Lager gezogen.
Am Abend des Heiligen Abends dann der vorläufige Höhepunkt, eine für die Zöglinge überraschende Bescherung ganz nach dem Geschmack der Erzieher. Noch vor dem bescheidenen Nachtmahl wird ein großer Christbaum aufgestellt, das Wachpersonal läßt Gefangene Kerzen daran befestigen. Auch  auf den Tischen stehen Kerzen, die Dienste der nackten Glühbirnen werden heute ausnahmsweise nicht in Anspruch genommen. SA-Sturmführer Gottfried Haimbuchner hält nach dem Essen in Vertretung des Lagerkommandanten die kurze Festrede. Leider fehlt bei dieser besinnlichen Feier nicht nur August Staudinger, sondern im Gegensatz zu vorgestern auch die ‚Neue Warte am Inn‘, und so müssen wir uns selbst die Mühe machen, die wesentlichen Stimmungsbilder getreulich nachzuzeichnen: Jedenfalls taucht der heimelige, warm flackernde Kerzenschein die große Weihnachtszüchtigung in ein mildes, geradezu intimes Licht. Ihr Erfinder, Lagerchef Staudinger, läßt sich wie Josef Wieger schweren Herzens entschuldigen. Die beiden haben sich über die Feiertage Urlaub genommen. Gut instruiert schreiten Alois Rosenbichler, Gottfried Haimbuchner und Josef Mayrlehner ans große Werk.
An die zehn Objekte werden ausgewählt, unter ihnen was noch da ist von Häftling Josef Mayer. Hose runter. Sie werden, einer nach dem anderen, nackt auf eine Bank geschnallt. Mitgefangene müssen sie an den Beinen und am Kopf festhalten, sodaß sie sich weder wehren noch den Schlägen im geringsten entziehen können. Während die SA-Leute wie verrückt auf die bloßen Ärsche eindreschen, wird manchen Opfern mit Mützen der Mund zugehalten. Sie schreien einfach zu laut, und die zivile Nachbarschaft könnte glatt beim Weihnachtsliedersingen gestört werden. Währenddessen besorgt die Aushilfsköchin Anna Schmiedinger nebenan in der Küche den Abwasch. Sie beeilt sich diesmal besonders, und das aus zweierlei einsichtigen Gründen: Erstens einmal sind die Geräusche aus dem Speisesaal, wie sie später aussagen wird, fürchterlich anzuhören, und zweitens möchte sie möglichst bald zuhause sein. Schließlich ist ja Heiliger Abend heute.
Dieser Mayer ist ein verdammt zäher Bursche, er überlebt auch heute. Den ganzen folgenden Tag läßt man ihn liegen, er rührt sich kaum. Am Abend des Christtags reißt Aufseher Alois den entstellten Körper mit Gewalt aus dem oberen Stockbett, er hat sich beim Schlußrundgang vom Stubenältesten nämlich berichten lassen müssen, die Kleider des Mayer seien nicht vorschriftsmäßig zusammengelegt. Benommen und teilnahmslos fällt Josef in sich zusammen. Rosenbichler zieht ihn an den Haaren in die Mitte des Zimmers. Aufstehen, wird er angeherrscht. Josef gibt sich alle Mühe, kriecht auf allen Vieren, hält sich am Pritschengestell fest, zieht sich hoch, steht endlich auf wackeligen Beinen. Zwei, drei gewaltige Schläge mit dem Gummiknüppel, Josef liegt wieder. Aufstehen, wird er angeherrscht. Mindestens zehnmal wiederholt sich das Spielchen, der Alois hat alle Zeit der Welt. Dann bleibt der Gefolterte endlich in Blut und Kot liegen, wimmert nur noch. Oberscharführer Rosenbichler fühlt sich heute in ausgezeichneter Form und hält die Zeit für gekommen, dem Häufchen Mensch mit den genagelten Schuhen unzählige Tritte in die Genitalien zu versetzen. Unartikulierte Schmerzenslaute sind die Folge.
Eine geschlagene Stunde soll der engagierte Pädagoge insgesamt beschäftigt sein, bis er sein Erziehungsziel erreicht hat: Josef Mayer gibt überhaupt keinen Laut mehr von sich. Mithäftlinge werden angewiesen, ihn an Armen und Hodensack hochzuheben und den Fleischklumpen auf seine Schlafstätte zu hieven. Zwei, drei Stunden später plumpst Josef plötzlich vom Etagenbett zu Boden und holt sich eine weitere klaffende Wunde am Kopf. Gottfried Haimbuchner gibt Mitgefangenen jetzt den Befehl, ihn notdürftig zu waschen und auf eine gewöhnliche Pritsche zu legen. Ein weiterer Tag vergeht.
Am frühen Abend des Stefanitags besucht der Arzt routinemäßig das Lager. Man führt ihn, wenn er schon einmal da ist, auch zum sterbenden Josef. Dem ist beim besten Willen nicht mehr zu helfen. Dr. Straffner verabreicht ihm trotzdem sofort eine herzstärkende Spritze, dann stellt er oberflächlich Blutkrusten im Gesicht fest, über der rechten Wange und am Unterkiefer, Blutungen in den Augäpfeln, blutunterlaufene Unterlider und eine blutige Nase. Der Arzt verzichtet angesichts des moribunden Zustandes darauf, den Patienten zu entkleiden. Noch hat Josef fast die ganze kommende Nacht zu leiden. Um vier Uhr in der Früh ist es überstanden.

Es ist der fürchterlich entstellte Körper des Josef Mayer, der den Lagerarzt, in Wirklichkeit hieß er Dr. Alois Staufer, allen Mut zusammennehmen und eine Anzeige bei der Gendarmerie im St. Pantaleoner Ortsteil Wildshut erstatten lässt. Er weigert sich, weiter unter Zwang unauffällige Todesursachen zu bestätigen. Josef Mayer zum Beispiel ist nach dem Willen des Lagerkommandanten infolge eines Unfalls an einer Gehirnerschütterung verstorben. Er ist der dritte Ermordete allein im Dezember.
Was nun folgt, ist im Dritten Reich nahezu beispiellos und gereicht dem Innviertel zur Ehre. Nicht nur der Lagerarzt setzt einen riskanten Akt des Widerstands, sondern auch der zuständige Oberstaatsanwalt in Ried im Innkreis lässt die Anzeige wegen Verdachts des Todes durch Gewaltanwendung nicht einfach unter den Tisch fallen, sondern beginnt sofort und mit großer Intensität seine Ermittlungen. Er lässt die Leiche beschlagnahmen und eilt mit dem Gerichtsmediziner selbst nach St. Pantaleon. Dem entschlüpft laut Protokoll beim Anblick des geschundenen nackten Körpers – die Hoden etwa haben Kürbisgröße – , noch bevor er an die Arbeit geht, der Ausruf: Ecce homo! Es ist das ein Zitat aus dem Johannesevangelium. Pontius Pilatus stellt mit diesen Worten den gefolterten Jesus dem Volk zur Schau: Da, seht euch diesen Menschen an!
Oberstaatsanwalt Dr. Josef Neuwirth wird in den kommenden Tagen von der NSDAP vehement bedroht. Er soll die Sache auf sich beruhen lassen. Neuwirth ignoriert die Drohgebärden und verlangt im Gegenzug die Herausgabe sämtlicher Unterlagen, die die Einweisungsgründe der Lagerhäftlinge betreffen. Gauinspekteur Schachinger höchstselbst kontert, es sei völlig abwegig, dass die Staatsanwaltschaft Maßnahmen einer Parteidienststelle überprüfe. Um den Schaden zu begrenzen, wird das Lager Hals über Kopf geschlossen, die Dokumente werden beiseite geschafft, die Insassen ins KZ Mauthausen verbracht. Josef Neuwirth gelingt es mit Unterstützung des Justizministeriums in Berlin, sie freizubekommen. Erst jetzt kann er getrennte Einvernahmen durchführen, die nicht nur die Ereignisse im Lager betreffen, sondern jeweils auch die Einweisungsgründe rekonstruieren. Dutzende Protokolle solcher Einvernahmen liegen mir vor.
Ausgerechnet zum Schlüsselfall Josef Mayer kann Neuwirth neben dem Tathergang und dem Obduktionsbefund nur wenig zusammentragen, weil einerseits alle Beteiligten offenbar dicht hielten. Andererseits durften Gefangene in Weyer, das kam selbst in NS-Lagern nur sehr selten vor, auch in der kargen Freizeit nicht miteinander reden, schwere Strafen waren dafür angedroht. So bleibt die Zeugenaussage eines Mitgefangenen, er habe einen kurzen Dialog zwischen einem der SA-Aufseher, selbst Schuster vom Beruf, und Josef Mayer aufgeschnappt, der einzige dokumentierte Hinweis auf die unmittelbare Vorgeschichte. Die beiden hatten einander offenbar von früher gekannt, und Mayer habe auf die Frage, warum er eingeliefert worden sei, ‚wegen meiner Frau‘ geantwortet.
Diese kryptische Bemerkung ergab erst Sinn, als mir Josef Mayers Neffe – ohne dass er von diesem Dokument wusste – erläuterte, der Onkel habe als Soldat der Wehrmacht zu Weihnachten 1940 Fronturlaub bekommen und seine Frau überraschen wollen, sei aber selbst überrascht worden, als er am Abend des 22. Dezember daheim eintraf und sie mit dem NS-Bürgermeister von Neukirchen in flagranti erwischte.
Begreiflich errregt, habe er den Nebenbuhler aus dem Haus geworfen. Am nächsten Morgen schon sei er abgeholt worden, der Rest der Geschichte ist bereits erzählt. Der Bürgermeister hatte also von seinem Recht Gebrauch gemacht, einen ‚Asozialen‘ im Lager zu ‚entsorgen‘, und die konsequente Vernichtung Mayers durch Folter über Weihnachten innerhalb weniger Tage lässt darauf schließen, dass der Einweisung zumindest die mündliche Anregung mitgegeben war: Rückkehr unerwünscht.
Was auf Josef Mayers Totenzettel, der beim Begräbnis verteilt wurde, zu lesen steht, wirkt auf die Wissenden – und schon damals waren es allein aufgrund der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen nicht wenige – wie ein Hohn: Mayer ist nicht, wie da festgehalten, Opfer eines Unglücksfalls geworden, und ‚selig im Herrn entschlafen‘ ist er mit seiner grausamen Passionsgeschichte schon gar nicht. ‚Ein schneller Tod war dir bestimmt‘ lautet die erste Zeile des Totensprücherls, und auch das ist natürlich grundfalsch. Auf der Rückseite dagegen ist eine barocke Auferstehungsszene abgebildet, und der Satz darunter (Nach diesem Elende zeige uns Jesum) stellt eine deutliche Parallele zwischen den Leidensgeschichten der beiden Männer her, ob bewusst oder nicht.
Josef Mayers Frau ist eine zweite Ehe eingegangen, blieb in Neukirchen wohnen und hatte ein langes Leben. Für die Verwandten Mayers war ihr Anblick, heißt es,  nicht leicht zu ertragen, wurden sie dadurch doch fortwährend an das furchtbare Ereignis erinnert. Es wäre aber unredlich, Maria Mayer zu unterstellen, sie hätte absehen können, welches Ende ihr Mann nehmen würde. Diese Verantwortung hat der zu schultern, der kraft seines Amtes eine mögliche persönliche Blamage mit der zumindest einkalkulierten Tötung eines Menschen abzuwenden trachtete.
Ich habe eingangs die These aufgestellt, dass gerade Opfer wie Josef Mayer womöglich die beste Erklärung für die radikalen Verdrängungsmuster nach 1945 abgeben. Er war keiner ‚der anderen‘, denen die Propaganda – wie den Juden – eine Weltverschwörung oder – wie den Behinderten – ein unnützes Leben unterstellte, was leider bei vielen verfing, er war einer ,von uns‘, ein deutscher Soldat und gehörnter Ehemann, der aus diesem Grund zu verschwinden hatte, und wie in allen Gemeinden des Landes mussten die Verwandten und Bekannten der Täter wie der Opfer nach 1945 nebeneinander weiterexistieren, am scheinbar besten schweigend.
Geht man zu weit, wenn man die noch heute an der Neukirchner Pfarrkirchenaußenseite angebrachte Grabplatte Josef Mayers als absichtsvolles stilles Zeichen der Mahnung verstehen will? Denn so gut wie alle anderen Grabreliefs und –platten an der Kirchenmauer stammen aus früherer Zeit. Warum wurde sie nach Auflösung des Grabes nicht entsorgt, wie das üblich ist?
Oberstaatsanwalt Neuwirth, der schnell auf andere Tötungsdelikte stieß, ließ mitten im Dritten Reich den Lagerkommandanten sowie einige Aufseher, darunter den Mörder Josef Mayers, in Untersuchungshaft nehmen. Fünfzehn Monate bereitete er, heftig bekämpft von der Gau-NSDAP, den Prozess vor, angeklagt wurden auch die Schreibtischtäter in Linz, die dieses Konzept eines Arbeitserziehungslagers ersannen. Erst ein Niederschlagungsbefehl direkt aus Hitlers Reichskanzlei zwang Neuwirth knapp vor Prozesseröffnung zur Aufgabe. Erhalten blieben aber viele hundert Seiten seiner akribischen Aufklärungsarbeit in Sachen Weyer-St. Pantaleon. Auf ihnen sind zahllose systembedingte Untaten des Nationalsozialismus mit dem Stempel des Reichsadlers garniert verzeichnet.
Nach dem Krieg wurde in Sachen Josef Mayer erst 1949 Recht gesprochen. Alois Rothenbuchner, im Roman ‚Herzfleischentartung‘ Rosenbichler genannt, wurde für dieses Delikt wie für zahlreiche andere zu insgesamt fünfzehn Jahren Zuchthaus verurteilt, von denen er lächerliche sechs absaß. Im Gefängnis von Garsten hackte er sich bei der Gartenarbeit nämlich das Spitzel des linken Zeigefingers ab, was er für ein Gnadengesuch an den Bundespräsidenten nützte. Er habe durch den Arbeitsunfall ‚in seelischer wie körperlicher Hinsicht schwer gelitten‘. Der Bundespräsident ließ ihn mit ausdrücklichem Bezug auf diese Argumentation im April 1955 heimgehen.
Josef Mayers Leidensgeschichte haben in den letzten Jahren mehrere tausend Schülerinnen und Schüler nicht nur in Österreich gelesen, ist der Roman ‚Herzfleischentartung‘, von dem es neben der österreichischen und der deutschen auch  US-amerikanische, französische, spanische und kroatische Ausgaben gibt,  doch zu einer beliebten Schullektüre geworden. In hunderten Schulveranstaltungen habe ich selbst Mayers Schicksal neben anderen als Musterbeispiel für die Perfidie des Nationalsozialismus herausgestellt. Selbst die schlechteste Demokratie ist einer solchen verfilzten, korrupten, unermesslich brutalen Diktatur turmhoch überlegen. Und dem gerade auch im Innviertel immer noch schwärenden Ungeist des Neonazismus, einem schleichenden Gift für junge Menschen, muss offensiv, mit aller Entschiedenheit, aber vor allem mit Aufklärung in Form von wasserdicht recherchierten Geschichten entgegengetreten werden. Bilder anonymer nackter Leichenstapel in den Vernichtungslagern verstören eher und schrecken ab, pädagogisch geschickt aufbereitete Schicksale wie jenes des Josef Mayer aus der geographischen Nähe wirken hingegen meist nachhaltig immunisierend.
Seit 2000 findet sich Josef Mayers Name auch auf einer Tafel der Opfer St.Pantaleon-Weyers an der Erinnerungsstätte neben der Moosach in Sankt Pantaleon. Seiner Familie konnte ich die verstaubten Originaldokumente, die er bei der Verhaftung ins Lager mitnehmen musste, von der Geburts- über die Heirats- bis zur Tage später ergänzten Sterbeurkunde übermitteln lassen. Sie waren mit anderen sechzig Jahre auf dem Dachboden des Gemeindeamtes St. Pantaleon gelagert. Niemand hat sie nach 1945 zurückerstattet.

Ludwig Laher

Die Geschichte der Familie Bogner aus Kollerschlag
Opferschicksale aus dem NS-Lager Weyer-St. Pantaleon

Die Geschichte der Mühlviertler Familie Bogner ist in mehrfacher Hinsicht atypisch für die im Rahmen dieses Forschungsvorhabens rekonstruierten Schicksale in Weyer internierter (und zumeist dort oder in Lodz zu Tode gekommener) Sinti und Roma. Gemeinsam mit dem ebenfalls aus Kollerschlag stammenden Rudolf Riede (kein Sinto oder Rom, sondern Jenischer) gehören die Bogners zu den ganz wenigen zweifelsfrei gesicherten Überlebenden von Weyer-St. Pantaleon, die von der Lagerleitung nicht als entlassen ausgewiesen wurden bzw. bei der Umladung in Lackenbach dem Todestransport nach Lodz (Litzmannstadt) entrannen.
Ich habe - wie Florian Freund - in verschiedenen Publikationen wiederholt darauf verwiesen, daß insgesamt achtzehn Insassen des Zigeuneranhaltelagers nach Schließung des Lagers Weyer, aber noch vor dem Eintreffen der zu Ermordenden in Lodz andere Wege genommen haben dürften. Zumindest fünf Mitglieder der Familie Bogner und eines der Familie Riede sind solche Fälle. Zeugenaussagen aus dem Familienkreis, vor allem aber neu aufgefundene Dokumente bestätigen dies.

Johann, der Sohn des Webers Paul Bogner und seiner Frau Maria, wurde am 27. Mai 1870 geboren. Er war einer der wenigen oberösterreichischen Männer aus der Mehrheitsbevölkerung, die zu Zeiten der Monarchie ein Mädchen aus der Minderheit der Sinti und Roma offiziell zur Frau nahmen. Eine solche Verbindung wurde gewöhnlich von beiden Seiten scheel angesehen und führte meist dazu, daß die Eheleute wie ihre Kinder von beiden Gruppen wenig akzeptiert wurden. Dies dürfte auch bei Johann und Maria Bogner sowie ihren Nachkommen nicht anders gewesen sein, wie ein Gespräch mit einer ihrer Enkelinnen bestätigte.
Die Frau, die Johann Bogner heiratete, hieß Maria Daniel. Sie kam am 25. Dezember 1884 als lediges Kind der Dienstmagd Franziska Daniel zur Welt. Franziska stammte aus einer weitverzweigten Sintifamilie. Allein im Zigeuneranhaltelager Weyer-St. Pantaleon waren 1941 sechzehn Menschen mit dem Familiennamen Daniel interniert, ein Kind mit dem identen Namen Maria Daniel starb im Lager Weyer mit fünf Jahren offiziell an einem Herzkollaps, tatsächlich an einer unbehandelten kruppösen Lungenentzündung, wie sich anhand persönlicher Aufzeichnungen des Lagerarztes beweisen läßt.
Die Magd Franziska Daniel war 1884 im Raume Wischau beschäftigt, einer deutschen Sprachinsel in Mähren. Ob der Mann, von dem sie schwanger wurde, überhaupt ein „Zigeuner“ war, ist nicht bekannt. Dennoch war ihre besitzlose Tochter im oberen Mühlviertel klar zugeordnet: Sie war eine „Zigeunerin“, und nicht wenige Einheimische betrachteten auch ihre Kinder und Enkel weiter als Teil einer „Zigeunersippe“ und ließen sie dies auch spüren. Für die Enkelgeneration der Maria Bogner bedeutete das schließlich, daß sie mit ihren Eltern (und zwei Onkeln) als „Viertel- oder Achtelzigeuner“ von den Nationalsozialisten ungeniert in das zentrale Zigeuneranhaltelager von Oberdonau in Weyer-St.Pantaleon im südwestlichen Innviertel eingewiesen wurde.
Doch der Reihe nach: Am 25. Februar 1906 traten Johann Bogner und Maria Daniel vor den Traualtar. Das Paar hatte zahlreiche Kinder und lebte in Kollerschlag im Mühlviertel, wo Johann Bogner das Heimatrecht besaß und die Kinder auch die Schule besuchten (Aus Gründen des Datenschutzes noch lebender Personen bzw. während der letzten Jahre Verstorbener müssen einige Angaben unbestimmt bleiben). Eines dieser Kinder, ebenfalls mit Namen Johann, kam 1914 zur Welt und stand in Kollerschlag in einem zwielichtigen Ruf, wie alte Leute sich erinnern. Ihm werden bis heute mangelnde Arbeitslust und Kleinkriminalität nachgesagt, entsprechende Unterlagen sind jedoch bisher nicht zu meiner Kenntnis gelangt. Kurz vor seiner Ermordung durch die Nazis wird Johann Bogners Beruf jedenfalls in offiziellen Dokumenten mit Chauffeur angegeben. Über andere Familienmitglieder wird, bezogen auf die Jahre bis 1945, nichts Nachteiliges berichtet.
Wie in vielen anderen Gemeinden Oberösterreichs, das nun Oberdonau hieß, nützte den Bogners ihre Rechtschaffenheit nichts, wurden doch drei Kinder von Johann und Maria Bogner, geboren zwischen 1904 und 1925, sowie die Ehefrau von Johann Bogner junior samt ihren beiden ältesten Töchtern, geboren in Kollerschlag und in Wegscheid, damals erst ein und zwei Jahre alt, zwischen 26. Jänner und 5. Mai 1941 aus rassischen Gründen in das NS-Lager Weyer-St.Pantaleon eingewiesen. Zwei Söhne der Maria Bogner, darunter Johann Bogner junior, wurden seit 26. Jänner als Insassen geführt, am 15. April 1941 wurden Johanns Frau Brigitte samt der älteren Tochter als einzige Zugänge dieses Tages eingeliefert. Am 24. April folgte der ältere Bruder Johann Bogners, und am 5. Mai schließlich wird auch die jüngere Tochter von Brigitte und Johann Bogner, damals noch keine acht Monate alt, inhaftiert. Am selben Tag wird außer ihr nur die 64-jährige Vinzenzia Sarkany ins Häftlingsverzeichnis aufgenommen, die aus Roroschitz in Mähren stammt. Daß der Säugling sich zu diesem Zeitpunkt in der Obhut von Frau Sarkany befand, ist daher nicht unwahrscheinlich.
Fast alle der in Weyer inhaftierten Sinti und Roma wurden später, falls nicht schon an Ort und Stelle umgekommen, im polnischen Lodz in einem „Zigeunerghetto“ oder im nahen Chelmno in Gasautobussen ermordet. Familie Bogner jedoch wurde, wie Florian Freund nachgewiesen hat, als einzige unter vielen Dutzend Großfamilien in Weyer am Tag der Deportation Anfang November 1941 (statt über Lackenbach nach Lodz in den Tod) ins Polizeigefängnis Linz eingeliefert und nach kürzester Zeit aus vorerst unbekannten Gründen entlassen. Sie kehrte schließlich am 5. November 1941 nach Kollerschlag zurück.
Diese einzigartigen Begebenheiten haben wahrscheinlich mit einem anderen atypischen Ereignis zu tun: Johann Bogner junior gelang nämlich als einem von ganz wenigen Häftlingen die Flucht aus Weyer, allerdings wurde er am 22. Oktober 1941 erneut verhaftet und ins Linzer Polizeigefängnis eingeliefert. Seine Familie wurde also mit ihm in Linz vereint. Besonders erstaunlich ist es, daß auch er, der geflohene Lagerhäftling, mit den anderen Familienmitgliedern auf freien Fuß gesetzt wurde. Es erscheint möglich, daß weitere Recherchen Aufschlüsse dazu ermöglichen.
Allerdings befand sich Johann Bogner jun. nur kurz in Freiheit und wurde nach Angaben von Zeitzeugen und der Tochter schließlich in das Konzentrationslager Dachau verbracht, von wo er nicht wieder zurückkehrte. Diese Angaben halten einer genauen Überprüfung jedoch in bezug auf das Konzentrationslager nicht stand. Die Akten beweisen, daß Johann Bogner jun. im März 1944 nach Auschwitz deportiert und dort ermordet worden ist.

Volksschule Kollerschlag 1935/36, 1. Reihe, Vierter von links: Adolf Bogner

Eine zweite Familie, die mit Kollerschlag und dem Lager Weyer-St.Pantaleon verbunden ist, gehört zu den wenigen Jenischen im Zigeuneranhaltelager. Die Untersuchungen in Kollerschlag haben ergeben, daß der dort 1907 geborene Rudolf Riede, inhaftiert am 21. März 1941, aus Weyer wieder entlassen wurde und überlebt hat. Einiges spricht für eine Entlassung am 15. Juli 1941.

Quellen: Originaldokumente und Kopien von Originaldokumenten in Archiven der Gemeinde Kollerschlag sowie in der Sammlung Laher, Gespräche mit Bgm. Saxinger sowie einem Mitglied der Familie Bogner.

 

Ludwig Laher
Die Geschichte der Sintifamilien Rosenfels und Jungwirth in Bachmanning

Opferschicksale aus dem NS-Lager Weyer-St. Pantaleon

Rosenfels Schulklasse 1937

Georg Rosenfels (Zweiter von links) und seine Klasse 1938

Anna Rosenfels war die Tochter des reisenden Musikers Johann Rosenfels und seiner Frau Maria, geborene Brandtner. Zur Welt kam sie auf einer dieser ausgedehnten Reisen im französischen Lyon, zuständig war sie nach Roitham. Sie selbst sei später auf der Durchreise gewesen, heißt es in den Akten, als sie in Bachmanning, und zwar im Haus Unterseling Nr. 3, dem sogenannten Winzlgut, am 11. Mai 1892 von einem unehelichen Kind entbunden wurde, das den Namen Mathias erhielt. Taufpatin war die Mitbesitzerin des Hofes Theresia Sprigner.
Mathias Rosenfels, dem das Bachmanninger Heimatrecht zugesprochen wurde, gründete später eine Familie, nahm dieses Heimatrecht in Anspruch und wurde in Bachmanning seßhaft. In der Tradition der seit dem 15. Jahrhundert in Oberösterreich nachweisbaren Sinti bedeutete Seßhaftigkeit, daß die Familie in der wärmeren Jahreszeit auf Reisen war, in der kälteren allerdings zuhause lebte, in diesem Fall in Bachmanning, Sozialkontakte hatte, zeitweise Arbeit fand, die Kinder in die Schule schickte, die katholische Kirche besuchte usw. Mathias Rosenfels war ein Sinto.
Die Großfamilie Rosenfels gehört zu den traditionsreichsten dieser Minderheit in Oberösterreich, andere Zweige lebten etwa in Roitham bei Schwanenstadt und Weng bei Altheim. Auch die Großfamilie Jungwirth war eine weit über Oberösterreich verbreitete angesehene „Zigeunersippe“. Mathias Rosenfels’ zukünftige Frau Philomena Thekla Jungwirth, Kind des Wilhelm und der Susanna Jungwirth, welche übrigens aus der durch berühmte Jazzmusiker weithin bekannten Sintigroßfamilie Reinhardt stammte (Django Reinhardt, aktuell Dotschy Reinhardt), wurde am 19. September 1898 auf der Reise in Stanz im Bezirk Mürzzuschlag geboren.
Sie muß in ihrer Jugend längere Zeit in Bozen gelebt haben, denn ihre ersten drei Kinder Margarethe (geb. 1918), Anna (geb. 1924) und Frieda (geb. 1925) Jungwirth kamen dort zur Welt. Als Anna im Oktober 1940 in Bachmanning selbst ein Kind zur Welt brachte, wurde Mathias Rosenfels als Großvater amtlich eingetragen. Es ist also mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, daß er der leibliche Vater dieser drei Mädchen war. Sie behielten allerdings zeit ihres kurzen Lebens den Namen Jungwirth, was sich einerseits dadurch erklären ließe, daß länderübergreifende spätere Umbenennungen mit erheblichem Aufwand und erheblichen Kosten verbunden waren, andererseits dadurch, daß Mathias Rosenfels womöglich doch nur Stiefgroßvater war und die Mädchen aus einer früheren Beziehung Philomena Jungwirths stammten.
Anders verhält es sich beim erstgeborenen Sohn Georg. Der kam 1927 in Sulz zur Welt und erhielt nach der späten Eheschließung von Philomena und Mathias Rosenfels an dessen 39. Geburtstag, dem 11. Mai 1931, in der Pfarre Ernsthofen (in Niederösterreich, direkt an der oberösterreichischen Grenze südlich von Enns) den Familiennamen Rosenfels. Gleiches gilt für die Tochter Maria (geb. 1929). Georg und Maria folgten weitere sechs Kinder, Monika 1931, Leo 1933, Johann 1935, Hildegard 1936, Zita Michaela 1937 und Wilhelm 1939. Dazu kamen schließlich die beiden Enkelinnen Marianne (geb. 1938) und Margarethe (geb. 1940).
Entsprechend den strengen Gepflogenheiten wurde nur Mathias’ Gattin Philomena sowie den ehelich geborenen letzten Kindern (mit Ausnahme von Hildegard) das Heimatrecht zugesprochen, welches ungestörten Aufenthalt und Armenpflege im Falle der Not garantierte. Die älteren Mädchen, Georg, Hilde sowie die Enkelinnen von Mathias und Philomena Rosenfels waren also Bürgerinnen und Bürger Bachmannings, nicht jedoch heimatberechtigt. Das NS-Regime schaffte schließlich das Heimatrecht ganz ab.
Johann und Zita Michaela starben im Alter von neun Wochen bzw. sieben Monaten. Ihnen blieb somit jenes fürchterliche Schicksal erspart, das der gesamten Familie bevorstehen sollte.
Mathias und Philomena Rosenfels dürften, Zeitzeugen zufolge, in Bachmanning zunächst in einem alten Eisenbahnwaggon gelebt haben (daneben besaßen sie wie alle Sintifamilien einen großen, von Pferden gezogenen Wagen) und in der Folge in das heute noch so genannte Zigeunerhaus, Unterseling Nr. 12, umgezogen sein, ein Gebäude, das 1925 von Mathias Lugmayr erbaut und kurze Zeit später von der Gemeinde erworben wurde. In diesem Haus lebten wenigstens zeitweise auch andere Leute, die von der Gemeinde dort einquartiert wurden, gleichzeitig mit den Rosenfels bzw. Jungwirths.
Mathias Rosenfels, obzwar in einem Dokument auch als Hilfsarbeiter bezeichnet, war Marktfahrer, der Beruf seiner Frau wird in den Akten mit Hausiererin angegeben. Dies waren geläufige Berufsbilder der reisenden Sinti, die auf Kirtagen und Dorfmärkten, aber auch von Haus zu Haus Waren und Dienstleistungen anboten. Sinti arbeiteten um 1930 aber auch in vielen anderen Berufen, etliche von ihnen als ganz gewöhnliche Arbeitnehmer, die das Reisen ganz aufgegeben hatten. Die älteste Tochter der Familie, Margarethe, war zum Beispiel Ziegeleiarbeiterin in Bachmanning, und es ist gut denkbar, daß zumindest sie aus diesem Grunde auch während des Sommers zuhause lebte.
Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ist davon auszugehen, daß die Familie Rosenfels untereinander Romanes sprach, und zwar dessen Unterart Sintitikes. Vor dem Zweiten Weltkrieg war die Muttersprache der Sinti noch in ziemlich allgemeinem Gebrauch. Ihr Deutsch war aber zumeist ebenso perfekt, die Kinder wuchsen zweisprachig auf. Allerdings gab es nicht selten Schuldefizite, die natürlich nichts mit grundsätzlich mangelnder Intelligenz zu tun hatten, sondern mit den langen Abwesenheiten vom Unterricht während der Reisezeit, der Dünkelhaftigkeit großer Teile des Lehrpersonals und einem mangelnden Bewußtsein vieler Sintieltern dafür, daß Bildung, wie die Mehrheitsgesellschaft sie sich vorstellte, für ihren Nachwuchs ein wichtiges Gut sein könnte. Diese Distanz entsprang allerdings vielfach einem verständlichen Mißtrauen, wurden die „Zigeuner“ durch die Jahrhunderte doch auch in Oberösterreich immer wieder brutal verfolgt, einmal als vermeintliche Zauberer, dann wieder als Kundschafter des Türken, oft genug schlicht wegen ihres Aussehens und ihrer so verschiedenen Kultur.
Über die soziale Einbindung der Rosenfels’ und Jungwirths im Dorf ließe sich durch Interviews mit älteren Bachmanningerinnen und Bachmanningern sicherlich noch einiges in Erfahrung bringen. Ist man allerdings auf Dokumente angewiesen, so gibt es Indikatoren, die gewisse Aufschlüsse geben können: Die Sinti waren gewöhnlich sehr gläubige Mitglieder der römisch-katholischen Kirche, die Taufe der Kinder war selbstverständlich. Wenn als Paten immer nur andere Familienmitglieder fungierten, kann man davon ausgehen, daß es mit näheren Bekannt-, gar Freundschaften mit alteingesessenen Einwohnern der Mehrheitsbevölkerung nicht weit her war. Bei den Rosenfels in Bachmanning war das anders.
Daß Mathias Rosenfels 1892 die Mitbesitzerin des Winzlgutes als Taufpatin bekam, mag sich aus dem bloßen Umstand erklären, daß seine Mutter Anna damals vielleicht die einzige „Zigeunerin“ in Bachmanning war. Zu den Paten der Rosenfels-Kinder zählten später aber auch der Bundesbahnoberbauarbeiter Johann Voseteder aus Bachmanning, seine Frau Theresia oder die Hausbesitzerin Elisabeth Hausertbauer aus dem Ortsteil Willing.
Die Rosenfels-Kinder wurden in Bachmanning religiös unterwiesen, gingen in die örtliche Volksschule. Bekannt ist etwa eine Photographie, die Bachmanninger Erstkommunionkinder gemeinsam mit Pater Altmann am 17. Mai 1936 zeigt. Einer der Knaben mit einer langen Kommunionkerze in der Hand ist Georg Rosenfels, ein hübscher Bub mit schwarzem Haar und etwas dunklerer Haut. Soeben durch den Empfang des Altarsakraments noch stärker in die Gemeinschaft der Gläubigen aufgenommen als durch die Taufe allein, wird Georg nur wenige Jahre später mit seinen Geschwistern, seinen Eltern und den beiden kleinen Nichten zuerst ausgesondert, dann interniert und schließlich ermordet werden. Die Schulchronik Bachmannings, längst in nationalsozialistischer Hand, vermerkt dazu 1941 zynisch: Am 19. Jänner kam der Zigeuner Rosenfels Matthias [sic!] in ein Arbeitslager bei Braunau. Damit gibt es in Bachmanning keine Zigeuner mehr, was auch vom pädagogischen Standpunkte aus nur zu begrüßen ist.
Warum in der Schulchronik die Einweisung eines 48jährigen Mannes in ein NS-Lager vermerkt wird, erschließt sich nur, wenn man weiß, was Sie als Leserinnen und Leser dieses Textes jetzt wissen: Es wurde keineswegs nur Mathias Rosenfels ins Lager nach Sankt Pantaleon–Weyer deportiert, sondern auch seine Frau Philomena, deren Kinder Margarethe, Anna, Frieda, Georg, Maria, Monika, Leo, Hildegard und Wilhelm sowie die Enkel Marianne und Margarethe, insgesamt also nicht weniger als dreizehn Personen, darunter mehrere aktuelle und ehemalige Schülerinnen und Schüler der Bachmanninger Volksschule. Davon schweigt die Chronik allerdings.
Exakt an jenem vom Schulchronisten erwähnten 19. Jänner 1941 begann mit der Eröffnung des zentralen sogenannten Zigeuneranhaltelagers für den Reichsgau Oberdonau das dunkelste Kapitel für die oberösterreichischen Sinti (und einige wenige Roma), die indirekte Vorbereitung zum Massenmord. Aus allen Landesteilen, aber auch aus Kärnten wurden Hunderte von ihnen in das südwestliche Innviertel gekarrt, die Männer als Zwangsarbeiter bei der geplanten Entsumpfung des Naturjuwels Ibmer Moor eingesetzt, wo 250 neue Großbauernhöfe entstehen sollten. Mathias Rosenfels fand sich in der allerersten Gruppe, die restliche Familie wurde exakt einen Monat später in das Häftlingsverzeichnis eingetragen.
Die mittlerweile verstorbene Rosa Kerndlbacher, später Winter, aus deren Sintigroßfamilie 22 Mitglieder über Weyer in den Tod gingen, erinnert sich in dem von mir herausgegebenen Buch „Uns hat es nicht geben sollen. Drei Generationen Sinti-Frauen erzählen“ an Berichte ihrer später in Auschwitz ermordeten Mutter, die zuvor wie Rosa im Zigeuneranhaltelager Salzburg-Maxglan inhaftiert war und dort die selten gewährte Erlaubnis, einen Passierschein, erhielt, ihre vielen Verwandten im Lager Weyer ein letztes Mal zu besuchen: Was ich aber sicher noch weiß über Weyer: Da war auch eine schöne junge Sintifrau von der Familie Jungwirth, um ihre Hand hat vor dem Krieg ein Adeliger angehalten, der ist immer hingekommen mit seinem Auto, weiß ich noch, aber dazu ist es nicht mehr gekommen, denn es ist der Hitler gekommen und sie nach Weyer. Eine Schönheit war sie. Die ganze Familie Jungwirth ist ausgerottet worden. In Weyer waren zwar weitere männliche Jungwirths aus anderen Orten interniert, die Frauen dieses Namens stammten hingegen alle aus Bachmanning, weswegen Rosa Winter, damals 18jährig, sich auf eine der Töchter von Philomena Rosenfels bezogen haben muß, die damals 23, 17 und 16 Jahre alt waren.
Da niemand der 39 Internierten mit den Familiennamen Rosenfels oder Jungwirth aus Weyer entlassen wurde oder schon dort starb, ist mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, daß sie alle mit Hunderten anderen oberösterreichischen „Zigeunern“, darunter fast 250 Kindern und Jugendlichen, nach Schließung des Lagers Sankt Pantaleon–Weyer Anfang November 1941 in den Transport von 5000 österreichischen Sinti und Roma nach Lodz (Litzmannstadt) ins besetzte Polen eingereiht wurden und dort bis längstens Februar 1942 im Zigeunerghetto an Hunger, Fleckfieber oder schließlich im Gas von Chelmno (Kulmhof) umkamen. Niemand der nach Lodz Deportierten kehrte je zurück.
Die Pfarrchronik von Bachmanning, wie andernorts heimlich geführt, enthält in diesen Jahren zahlreiche kritische Bemerkungen gegen die NS-Herrschaft, vornehmlich mit Bezug auf die Kirchenpolitik der Nazis am Ort und generell. Dazu, daß viele Kirchenmitglieder aus Bachmanning, darunter zehn Kinder und Jugendliche, in NS-Lager verschleppt wurden, was, wie die Schulchronik ausweist, allgemein bekannt war, schweigt sie sich aus.
Dafür werden im Taufbuch Erkenntnisse nachgetragen, die das Dokument Ia/St-1614/9-1942 (Reichsstatthalter in Oberdonau) vom 1. August 1942 beinhaltet. In den Spalten, die von Hildegard Rosenfels handeln, als deren Eltern Mathias und Philomena Jungwirth eingetragen sind, heißt es in einer anderen Handschrift: Die hier als geboren Verzeichnete ist ein ehel. Kind des Wilhelm Jungwirth, geb. 4.2.95 (…) katholisch u. d. Aloisia geb. Rosenfels (geb. 1.11.1899 (…)) katholisch, die Eltern haben am 22.6.20 geheiratet (…).
Da in Oberösterreich mehr als neunzig Prozent der heimischen Sinti von den Nationalsozialisten ermordet wurden, ist höchst wahrscheinlich, daß auch Wilhelm und Aloisia Jungwirth umkamen. Sie sind aber weder in der Häftlingsliste von Weyer noch in jener von Maxglan aufgeführt. Oberösterreichische Sinti, die außerhalb des Reichsgaus Oberdonau festgesetzt wurden, starben zumeist in Auschwitz, Ravensbrück sowie in anderen Konzentrationslagern. Als im Bachmanninger Pfarrhof Hildegard Rosenfels offiziell andere Eltern zugesprochen wurde, war diese längst mit ihren vielleicht vermeintlichen Geschwistern und Eltern ermordet worden. Hilde war, wie erwähnt, das einzige eheliche Kind, welches kein Heimatrecht erhalten hatte, ein Indiz dafür, daß in der Gemeinde längst inoffiziell bekannt gewesen sein könnte, daß sie eigentlich nicht in die Familie des Mathias Rosenfels, sondern in jene seines Schwagers gehörte, aber erst die NS-Gewaltigen mochten auch auf einer amtlichen Korrektur bestanden haben. Umgekehrt ist als einziger Grund für diese seltsame Geschichte genau jenes oft verzweifelte Bemühen um Heimatrecht vorstellbar, das auch in manch anderen Gemeinden dazu führte, daß gelegentlich Kinder von Verwandten als eigene ausgegeben wurden, weil diese Verwandten nirgendwo ein Heimatrecht besaßen.
Das Dokument vom August 1942 bestätigt jedenfalls, daß die NS-Autoritäten auch längst aus rassischen Gründen grausam Ermordete weiter als Objekte der wuchernden Bürokratie betrachteten. Ablebensmeldungen aus Lodz oder Chelmno sind im Pfarrhof Bachmanning nie eingetroffen.
Sollten Mathias Rosenfels und seine Frau tatsächlich versucht haben, Hilde das Bachmanninger Heimatrecht auf illegale Weise zu verschaffen, so läßt dieser Akt jedenfalls keinerlei Rückschlüsse auf die grundsätzliche Ehrlichkeit und Gesetzestreue der Bachmanninger Familie Rosenfels zu. Entgegen dem weitverbreiteten Gerücht, „Zigeuner“ seien unehrliche Menschen, weisen die Strafkarten von Mathias und Philomena Rosenfels für ihr ganzes Leben nur je zwei Bagatellstrafen aus, wegen Diebstahl (vielleicht des berühmten Huhns) und in einem Fall wegen Veruntreuung. Die wurden mit Arreststrafen zwischen 48 Stunden und und vier Wochen geahndet. Stellt man in Rechnung, daß die Behörden der Donaumonarchie und der Ersten Republik die staatlichen Sicherheitsorgane mehr oder weniger anwiesen, „Zigeuner“ besonders hart anzufassen, sind die beiden Strafkarten der beste Ausweis für das tadellose Verhalten von Mathias und Philomena Rosenfels.
Wären da nicht die von Generation zu Generation weitergegebenen Gerüchte über die Minderheit, in der es, genau wie bei der Mehrheitsbevölkerung, stets solche und solche gegeben hat, es würde sich eigentlich verbieten, angesichts des unfaßbaren Blutzolls dieser Mitbürgerinnen und Mitbürger überhaupt von Lächerlichkeiten wie 48 Stunden Arrest für ein gestohlenes Huhn Mitteilung zu machen.
Bleibt der Vollständigkeit halber noch festzuhalten, daß von den insgesamt fünfzehn Mitgliedern der Familie zwischen 1892 und 1940 immerhin sieben (Mathias, Johann, Hildegard, Zita Michaela, Marianne, Wilhelm, Margarethe) in Bachmanning selbst zur Welt kamen.
Daß die Familie Rosenfels auf die Bachmanninger Eindruck gemacht hat, auch wenn sie seit ihrer Ermordung und dem bürokratischen Nachspiel viele Jahrzehnte hindurch offensichtlich kein großes Thema war, beweist allein schon die Tatsache, daß im Volksmund immer noch vom Zigeunerhaus die Rede ist, wenn das jetzt 85 Jahre alte, mehrfach umgebaute Gebäude in Unterseling gemeint ist. Stellt man in Rechnung, daß die Rosenfels im Verhältnis nur ganz kurze Zeit, ein gutes Jahrzehnt nämlich, dort lebten, wird man zugeben müssen, daß sie wahrhaft unvergeßlich sind.
Dazu beizutragen, daß diese Menschen als Teil der Ortsgeschichte nach vielen Jahrzehnten wieder besser faßbar werden, daß man sie solcherart heimholt, sich zu ihnen als Opfer einer beispiellosen Barbarei bekennt, ist dieser Aufsatz verfaßt worden. Die kargen erhaltenen Dokumente liefern nur dürre Details über ihr Leben, mündliche Zeugnisse wie jenes Rosa Winters über den in eines der Mädchen verliebten Adeligen fehlen im Moment fast ganz. Es hat sich aber von selbst verbeten, irgendetwas auszuschmücken. Möge das Schicksal der Familie Rosenfels gerade jungen Leuten heutzutage vermitteln, daß Ausgrenzung und Rassismus durch nichts zu rechtfertigende Fehlhaltungen sind, denen konsequent entgegengetreten werden muß, um zu vermeiden, daß je wieder solch monströse Untaten begangen werden.

Quellen: Originaldokumente und Kopien von Originaldokumenten in Archiven der Gemeinde Bachmanning sowie in der Sammlung Laher.

***

Auf Ersuchen der Gemeinde Bachmanning konnte der Verein Erinnerungsstätte Lager Weyer/ Innviertel zur Jahreswende 2009/10 klären, was mit der dort seit dem 19. Jahrhundert heimatberechtigten Familie Rosenfels bzw. Jungwirth (nicht zu verwechseln mit der ebenfalls zu den Opfern Weyers zählenden gleichnamigen Familie aus Weng bei Altheim) geschehen ist (Button Archiv).

Im Jahr 2011 ist für alle Bachmanninger Opfer am Ort eine Gedenktafel enthüllt worden.

 

Ludwig Laher

Die Sintifamilie Blach aus Buchkirchen bei Wels

Opferschicksale aus dem NS-Lager St. Pantaleon-Weyer

Die Gemeinde Buchkirchen bei Wels hat dem Verein Erinnerungsstätte Lager Weyer/Innviertel vorübergehend eine große Zahl Originaldokumente zur Verfügung gestellt, aus denen sich im Kontext der Dokumente zum Lager St.Pantaleon-Weyer und zum Lager Salzburg-Maxglan folgendes ergibt:

Die BH Wels hat am 27. Juni 1935 ein Konvolut an die Gemeinde Buchkirchen übermittelt, in welchem die Mitglieder der Großfamilie Blach aufgelistet wurden, von denen eine größere Anzahl als in der Gemeinde Buchkirchen heimatberechtigt ausgewiesen wurden. Am 12. November 1938 hat der Bürgermeister von Buchkirchen dem Gaupropagandaleiter eine weitere Liste der nach Buchkirchen zuständigen Zigeuner übersandt. Von dem in diesen beiden Dokumenten genannten Personenkreis lassen sich in einer Reihe von Fällen die letzten Lebensjahre bis zur nachgewiesenen oder nahezu sicheren Tötung durch die NS-Schergen rekonstruieren. Als nahezu sichere Tötung bezeichne ich die durch zahlreiche Quellen belegte Liquidierung des Zigeunerghettos Lodz durch Massenmord. Von den 5000 dorthin eingewiesenen österreichischen Sinti und Roma fand sich nach dem Krieg keine Spur mehr. Sie starben zum Teil im Ghetto, zum Teil im Gas von Chelmno vor den Toren von Lodz. Die Sterbelisten sind nur höchst unvollständig erhalten, von den Buchkirchner Sinti habe ich nur in einem Fall den Todestag in Lodz rekonstruieren können.

1.      In Buchkirchen heimatberechtigte Familienmitglieder Blach:

Juliana Blach, geb. 1900 in Ansfelden, per 10.6.1941 Lager Weyer (LW), per 4.11. 1941 Lodz, dort Tod

Anton Blach, geb. 1934 in Kematen, per 23.3.1941 LW, per 4. 11. 1941 Lodz, dort Tod

Alfred Blach, geb. 1905 in Rottenmann, per 26.1.1941 LW, per 4.11.1941 Lodz, 7.1.1942 Tod („Fleckfieber“)

Katharina Blach, geb. 1928 in Greith, per 27.1.1941 LW, per 4.11.1941 Lodz, dort Tod

Maria Franziska Blach, geb. 1931 in Ischl, per 27.1.1941 LW, per 4.11. 1941 Lodz, dort Tod

Margarete Blach, geb. 1909 in Breitenegg, per 27.1.1941 LW, per 4. 11. 1941 Lodz, dort Tod

Rosina Blach, geb. 1936 in Buchkirchen, per 27.1.1941 LW, per 4.11.1941 Lodz, dort Tod

Theodor Blach, geb. 1938 in Viechtwang, per 27.1.1941 LW, per 4.11.1941 Lodz, dort Tod

Florian Blach, geb. 1925 in einem Wald in Bayern, per 26. 1.1941 LW, per 4.11.1941 Lodz, dort Tod

Maria Blach, geb. 1929 in Kallham, per 10.6.1941 LW, per 4.11.1941 Lodz, dort Tod

Pauline Blach, geb. 1931 in Graz, per 10.6.1941 LW, per 4.11.1941 Lodz, dort Tod

    2.      Nach dem 12. 11. 1938 (letzte Auflistung) geborenes, nach Buchkirchen zuständiges Kind Blach:

Ludwig Blach, geb. 6.5. 1941 in Buchkirchen, per 10.6.1941 LW, per 4.11. 1941 Lodz, dort Tod

3.      Im Akt genannte, nicht heimatberechtigte Familienmitglieder Blach:

Pauline Blach, geb. 1885 in Zürich, 1940 im Lager Maxglan, Tod in Auschwitz am 23. 8. 1943

Ludwig Blach, geb. 1884 in Oberwarengau, per 26.1.1941 LW, per 4.11.1941 Lodz, dort Tod

Anna Blach, geb. 1894 in Oberassen, per 11.4.1941 LW, per 4.11.1941 Lodz, dort Tod

Aloisia Blach, geb. 1890 in Bischofhofen, per 27.1.1941 LW, per 4.11.1941 Lodz, dort Tod

Maria Blach, geb. 1909 in Grieskirchen, per 27.1.1941 LW, per 4.11.1941 Lodz, dort Tod

Amalia Blach, geb. 1932 in Gaishorn, per 27.1.1941 LW, per 4.11.1941 Lodz, dort Tod

Vinzenz Blach, geb. 1933 in ???, per 27.1.1941 LW, per 4.11.1941 Lodz, dort Tod

Es ist mit großer Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, daß zahlreiche weitere Familienmitglieder während der NS-Zeit gewaltsam zu Tode kamen. So finden sich ohne Geburtsort folgende nach dem 12.11.1938 geborene Kinder Blach auf der Liste der Opfer Weyer/Lodz: Josef Blach, geb. 15.2.1940; Monika Blach, geb. 9.10.1940.

Weitere wichtige Informationen verdankt der Verein Erinnerungsstätte Lager Weyer dem Historiker Gert Kerschbaumer, der sich ausführlich mit dem Zigeuneranhaltelager Salzburg-Maxglan beschäftigt. Im Abgleich mit den Buchkirchner Dokumenten ergibt sich folgendes Bild:

Im Falle der bereits genannten Pauline Blach, geb. 1885 in Zürich, steht nun zweifelsfrei fest, daß sie aus dem Lager Salzburg-Maxglan nach Auschwitz verbracht wurde und dort lt. Totenbuch am 23. August 1943 zu Tode kam (Z-6542). Pauline Blach ist auch eines jener Beispiele, an dem sich, so man den Dokumenten trauen darf, Leni Riefenstahls falsche Verantwortung bis zu ihrem Lebensende vor wenigen Jahren nachweisen läßt: Frau Blach ist nämlich eine jener 52 Sinti aus dem Lager Maxglan, die von Riefenstahl als Statisten für den Film „Tiefland“ angefordert und beschäftigt wurden. Frau Riefenstahl hat wiederholt behauptet, daß niemand von diesen Personen im KZ ermordert wurde.
Ihr Sohn Willi Blach, geb. am 22. 8. 1927 in Linz, findet sich ebenfalls in der Maxglaner Häftlingsliste.

Anders als die beiden Genannten aus der sogenannten „Albertinischen Linie“, denen trotz einer (von der BH Wels 1935 als unleserlich bezeichneten) Anmerkung bezüglich einer Verfügung der BH Wels (Legitimationsvorschreibung) im Taufbuch von Thannheim, Bez. Reutte bei Paulines Vater Adalbert Blach das Heimatrecht versagt bleib, besaß Johann Blach („Johannische Linie“), geb. 25. Mai 1884 in Laubing (bzw. Straubing) das Buchkirchner Heimatrecht (anerkannt am 30.12.1933), das ihm allerdings vom oö. Landeshauptmann am 18.5.1937 aberkannt wurde. Johann Blach war in Salzburg-Maxglan interniert. Sein weiteres Schicksal ist ungeklärt.
Maria Blach, geb. 23.2.1883 in Deggendorf, Johann Blachs Gattin, wurde nach der Internierung im Lager Salzburg-Maxglan nach Auschwitz deportiert, wo sie lt. Totenbuch am 1. Oktober 1943 umkam. Der beiden Sohn Max Blach, geboren am 14. Mai 1917 in Ellmau, wegen eines fehlenden Geburtsdokumentes 1934 nicht als heimatberechtigt nach Buchkirchen anerkannt, durchlitt ebenfalls Salzburg-Maxglan. Sein weiteres Schicksal ist ungeklärt.
In Auschwitz (Z-5981) kam auch Viktor Blach, geb. 13.5.1912, aus der „Johannischen Linie“ ums Leben, und zwar am 12. Juli 1943. Viktor Blachs Ausweise mit Paßfotos befinden sich im Besitz der Gemeinde Buchkirchen. Ebenfalls der „Johannischen Linie“ entstammt Leonhard Blach, geb. am 20. Jänner 1920. Der Auschwitz-Häftling (Z-5987) dürfte überlebt haben, da er weder im Auschwitzer Totenbuch noch in der aktualisierten Internet-Version desselben verzeichnet ist.
Ob der nach dem 12. November 1938 geborene Josef Blach, geb. 6. Mai 1942 in Kirchberg, in Auschwitz (Z-5988) im Mai 1943 zu Tode gekommen, zu den Buchkirchner Blachs gehört, müßten Recherchen der Gemeinde Buchkirchen (Taufbücher) ergeben. Schwierig wird es im Falle Anton Blachs, eines bedauernswerten Säuglings, geboren am 25. 5. 1943 in Auschwitz-Birkenau (Z-8209) und daselbst umgekommen am 15. Juli desselben Jahres.

Nach vorsichtiger Schätzung übersteigt damit die Zahl der dem Rassenwahn der Nazis zum Opfer gefallenen Mitglieder der Großfamilie Blach bereits nach Auswertung der Dokumente aus Salzburg-Maxglan, St.Pantaleon-Weyer, Lodz (nur Fragmente) und Auschwitz bereits 30. Blachs wurden aber auch nach Dachau, Ravensbrück und wahrscheinlich auch in andere KZ verbracht, entsprechende Überprüfungen stehen (zum Teil auch wegen Nichtzugänglichkeit der vorhandenen Dokumente) noch aus.

Quellen: Originaldokumente und Kopien von Originaldokumenten im Gemeindearchiv Buchkirchen bei Wels sowie in den Sammlungen Laher und Kerschbaumer.

 

Ludwig Laher

Die Sintifamilie Rosenfels aus Weng bei Altheim im Innviertel

Opferschicksale aus dem NS-Lager Weyer-St. Pantaleon

In Zusammenarbeit mit der Gemeinde Weng im Innviertel ist es gelungen, als weiteres Steinchen im Mosaik der Aufarbeitung des Zigeuneranhaltelagers Weyer-St. Pantaleon das traurige Schicksal der Sintigroßfamilie Rosenfels zu rekonstruieren.

Das Ehepaar Klemens (geb. 16.12.1895 in Weng/Oö.) und Emma (geb. 11.6.1895 in Messina) Rosenfels war nach Weng bei Altheim, Bezirk Braunau, zuständig (heimatberechtigt) und hatte zehn Kinder: Adolf (geb. 1924), Klemens (geb. 1925), Erika (geb. 1927), Martha (geb. 1928), Franz (geb. 1929), Karl (geb. 1931), Maria (geb. 1933), Rudolf (geb. 1935), Helga Gertrude (geb. 1936), Ernst (geb. 1939).

Klemens Rosenfels war von Beruf Marktfierant, die Wagen standen nach einem Zeitzeugenbericht meist im sogenannten Lochhölzl in Gunderding. Im Winter durfte die Familie die Pferde bei einem Bauern in der Nähe einstellen, Familie Rosenfels hauste winters zuweilen im Stadel des Boierhofes.

In der „Heimats-Matrik II für in der eigenen Gemeinde heimatberechtigten Personen, die sich ausserhalb der Gemeinde dauernd aufhalten“ der Gemeinde Weng, angelegt unmittelbar nach dem Anschluß mit Stichtag 13.3.1938, wird festgehalten, daß die Familie Rosenfels mit 20.10.1934 nach Laab 60 (Stadtteil von Braunau am Inn) verzogen sei. Übereinstimmende Aussagen der älteren Generation in Weng bezeugen jedoch, daß die Familie Rosenfels im Krieg in Weng „abgeholt“ worden sei und nicht wiederkam.

Auch andere, offensichtlich nicht in Weng heimatberechtigte Mitglieder der Familie Rosenfels lebten zeitweise dort. Im Dienstbuch der Gemeinde finden sich einige Einträge über Beschäftigungsverhältnisse.

Die gesamte Familie des Klemens und der Emma Rosenfels gehörte zu den ersten in das Lager Weyer-St. Pantaleon eingelieferten Sinti. Im ersten Verzeichnis der Internierten vom 26. 1. 1941 sind sie alle zwölf aufgelistet. In den Folgemonaten wurden weitere neunzehn Mitglieder der Großfamilie aus allen Teilen des Landes (Geburtsorte u.a.: Stadl-Paura, Linz, Seewalchen, Aggsbach, Gloggnitz) in Weyer interniert. Da keine der 31 Personen mit Familiennamen Rosenfels entlassen wurde, ist mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, daß sie nach Schließung des Lagers Anfang November 1941 nach Lodz (Litzmannstadt) deportiert wurden und dort bis längstens Februar 1942 im Ghetto an Hunger, Fleckfieber oder schließlich im Gas umkamen.

Die wenigen erhaltenen Aktenbestände aus Litzmannstadt (sie sind besonders fehlerhaft: Alle Rosenfels wurden z. B. als Rosenfeld eingetragen, alle Horvaths als Howarth) bestätigen u. a. die Fleckfiebererkrankungen von Albine Rosenfeld (recte: Rosenfels), die ebenfalls in den Transport aus Weyer nach Lodz eingereiht war, sowie eines Franz sowie einer Maria Rosenfeld (recte: Rosenfels), wobei es sich bei letzteren nicht um die nach Weng zuständigen Personen gleichen Namens handeln dürfte, da die Altersangaben divergieren. Allerdings sind auch diese Daten in den Listen höchst fehlerhaft.

Zusammenfassend muß festgehalten werden, daß die gesamte Familie Rosenfels aus Weng, Eltern und zehn Kinder im Alter zwischen zwei und siebzehn Jahren, dem nazistischen Rassenwahn zum Opfer gefallen ist. Sie reiht sich damit ein in das Schicksal vieler anderer Sintigroßfamilien in Oberösterreich, die häufig in ähnlich strukturierten kleinen Gemeinden heimatberechtigt waren (z. B. Hochburg-Ach, Buchkirchen bei Wels).

Quellen: Originaldokumente und Kopien von Originaldokumenten in der Sammlung Laher. Korrespondenz mit der Gemeinde Weng (Zeitzeugenaussagen).